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Elias V. Oiconomou

Bibel und Bibelwissenschaft in der orthodoxen Kirche

 

 

V. BIBELKRITIK

 

1. Ihre Notwendigkeit

Auch die orthodoxe Kirche ist der Überzeugung, daß ein gründliches Studium der Umstände, unter denen die einzelnen biblischen Bücher geschrieben wurden, und der literarischen Arten, die die Hagiographen anwandten, unumgänglich ist, wenn der genaue Sinn ihrer Aussagen ermittelt werden soll. Kategorisch stellt Vellas fest, daß “von einer Bibelwissenschaft ohne kritische Arbeit keine Rede” sein könne.l

Die kritische Bibelarbeit ist nicht neu. Sie ergab sich fast zwangsläufig aus der Tatsache, daß die Septuaginta, die von jeher und bis heute den in der orthodoxen Kirche offiziellen Text des Alten Testaments darstellt, von Anfang an Unterschiede zum hebräischen Urtext auf wies. Beim Abschreiben und Übersetzen hatten die Texte im Laufe der Zeit Einbußen erlitten. Umstellungen, Veränderungen, Zusätze, Seh- und Hörfehler mußten erkannt und beseitigt und der ursprüngliche Text womöglich sorgfältig wiederhergestellt werden. Die Hexapla des Origenes und die Arbeiten von Hesychius und Lukian zeigen, wie frei und selbstverständlich schon die alte Kirche die ihnen vorliegenden Texte bearbeitete.2 Heute ist die Arbeit an der Septuaginta aufgrund der modernen Methoden noch dringlicher und erfolgversprechender. Ιn der theologischen Fakultät von Athen gibt es zum Beispiel jetzt einen eigenen Lehrstuhl für Septuaginta-Exegese. Auch die offizielle Ausgabe des Neuen Testaments, der “Text der Großen Kirche Christi”, den das Patriarchat von Konstantinopel 1904 herausgegeben hat, ist; wie man heute weiß, fehlerhaft und revisionsbedürftig. Nur durch eine wissenschaftliche Analyse des Textes lassen sich außerdem willkürliche und assoziative Deutungen, die den Sinn eher verdunkeln, ausschließen. So ist die Textkritik in der orthodoxen Kirche allgemein anerkannt, sie wird mit Selbstverständlichkeit praktiziert.

Offiziell hat sich die Kirche zur kritischen Bibelarbeit ihrer Exegeten allerdings nie geäußert. So wie sie nie eine Handschrift oder eine Übersetzung zum einzig authentischen Text erklärt hat,3 so gestattet sie auch die wissenschaftliche und historische Prüfung aller mit der Bibel zusammenhängenden Fragen. Sie ist überzeugt, daß eine solche Arbeit nicht in Widerspruch zu ihren Prinzipien geraten kann, wenn sie wissenschaftlich begründet ist und nicht in eine phantastische Superkritik ausartet, die die Überlieferung außer acht läßt.

Die Schwierigkeit der modernen Exegeten liegt, wie bei allgemeinexegetischen Fragen, in der Auseinandersetzung mit den Neopatristen. Diese sind nämlich der Ansicht, es gebe keinen Grund für neue exegetische Initiativen, da ja die Väter alles Entscheidende gesagt hätten und man sie nur wiederholen könne. Aber diese Meinung übersieht, daß zwischen den Vätern und uns mehr als tausend Jahre liegen, die Zeit aber einen nicht unbedeutenden Faktor im Verständnis der Bibel darstellt. Zudem weiß man, daß die Äußerungen der Kirchenväter weder einstimmig noch eindeutig noch vollständig sind. Sie unterliegen ja selbst der kritischen Untersuchung. Und so ist zu hoffen, daß die Erforschung der Väter selbst der zeitgenössischen Exegese den Weg bereitet, damit sie auf dem Boden der exegetischen Tradition mit modernen Methoden arbeiten kann.

 

2: Ihre Grenzen

Zurückhaltender als die reine Textkritik wird allerdings die Literarkritik und die historische Kritik gehandhabt, weil sich hierbei Κonflikte mit der kirchlichen Lehre, vor allem mit der Inspirationslehre ergeben können. So hat zum Beispiel die Kritik festgestellt, daß diese oder jene Teile einer Schrift spätere Zusätze sind.4 Es gilt aber der Grundsatz, daß nur der Originaltext und nicht auch seine Zusätze inspiriert sein können. Das Problem besteht jedoch nicht darin, ob man die Zusätze aus dem Κanon ausschließen muß -sie werden ja von vielen neueren Theologen5 wie auch bereits vom Patriarchat von Konstantinopel bei der Ausgabe des Neuen Testaments von 1904 ausdrücklich erkannt und akzeptiert-, sondern inwiefern sie nach Inhalt und Art als Zusätze zu betrachten sind. Es gibt nämlich Ζusätze und Glossen, die nicht außerhalb der Offenbarung stehen. Sie stammen zwar nicht vom Verfasser der Schrift, verkörpern aber dennoch die apostolische Tradition und sind somit von ihrer Tendenz her in die christliche Glaubensaussage integriert. Auf sie wird die Kirche nicht zu verzichten brauchen. Die Zusätze sind also nicht nur vom text- und literarkritischen Standpunkt aus, sondern auch nach ihrer theologischen Aussage zu beurteilen. Diese allein ist das Kriterium dafür, ob ein Zusatz eliminiert werden muß.

Deshalb ist auch die Frage nach dem Verfasser einer biblischen Schrift nicht so wichtig. Mit Recht betont Vellas, daß die Feststellung, mehrere Autoren seien an einem Buch beteiligt, nicht “mit dem Gedanken der göttlichen Inspiration oder mit der kirchlichen Autorität in Widerspruch” stehen müsse.6 Denn die Kirche hat in den Schriftkanon nicht inspirierte Verfasser, sondern inspirierte Bücher aufgenommen. Viele Bücher (z.B. Pss, Sam, Κön) sind ganz ohne jeden Verfassernamen in den Κanon eingegangen, ihre Anonymität tut ihnen keinerlei Abbruch. Da der Geist Gottes der eigentliche Autor ist, kommt es auf den Namen der menschlichen Verfasser gar nicht so sehr an. Sehr richtig trennte schon Theodoret von Kyros die Frage des Verfassers von der der Kanonizität, als er gegen die Arianer polemisierte, die fälschlicherweise die Verfasserfrage beim Hebräerbrief mit dessen Kanonizität verbanden.7 Und Gregor der Große hielt es für völlig überflüssig, nach dem Verfasser der Bücher zu fragen, wenn doch der Heilige Geist der Verfasser sei.8 Der moderne Exeget hat also durchaus eine entsprechende Tradition vor sich, die er beachten und nicht durch Superkritik unterlaufen soll.

Aber auch wenn sich herausstellt, daß die Zusätze nicht den biblischkirchlichen Geist widerspiegeln, sondern außerbiblisches Gedankengut enthalten, brauchen sie nicht eliminiert zu werden. Schließlich hat sich Gott auch in der heidnischen Welt “nicht unbezeugt gelassen” (Apg 14,17), sondern Samen der Offenbarung in die Welt gelegt. Diese Theorie Justins vom Logos spermatikos ist bei fast allen Kirchenvätern anzutreffen und hat enorm viel zur Verbreitung des christlichen Glaubens beigetragen. Durch sie läßt sich mühelos der Zusammenhang herstellen zwischen biblischer Lehre und außerbiblischen Ideen9: Gott ist ein universaler Gott, ein Gott der Liebe und der Vorsehung.

Aber auch zu anderen Ergebnissen der Literarkritik verhalten sich die orthodoxen Theologen reserviert. Sie fragen nach dem Sinn und Nutzen von Theorien, die für das Glaubensleben nichts einbringen. So stellt zum Beispiel die Quellenscheidung im Pentateuch nicht nur die Inspiration einzelner Verfasser in Frage. Es handelt sich zudem um ein Problem, das nicht auf dem Boden der orthodoxen Kirche gewachsen und für die breite Öffentlichkeit unannehmbar ist. Die Bibelkritik ist also, so darf man zusammenfassend sagen, in der orthodoxen Kirche auf den wissenschaftlich-akademischen Bereich beschränkt. Ihre Ergebnisse sind für das Glaubensleben der Kirche irrelevant.

 

3. Zum Problem der Entmythologisierung

Das in den westlichen Kirchen so heiß umstrittene Thema “Entmythologisierung” hat bei den orthodoxen Theologen gar keine Resonanz gefunden. Entweder schwiegen sie darüber ganz10 oder sie äußerten sich kritisch, wenn nicht ablehnend.l l Der Grund für diese Zurückhaltung liegt in dem begründeten Verdacht, daß durch den Entmythologisierungsprozeß die Theologie zur Anthropologie wird und “im Untergrund die Ansichten von L. Feuerbach und D. F. Strauß lauern”12 oder daß sie “als Flucht vor den historischen Gegebenheiten”13 verstanden werden muß.

Um das Kerygma des Neuen Testaments von seiner zeitbedingten sprachlichen Ausdrucksform zu lösen, bedarf es jedoch nicht einer Entmythologisierung, die die Verneinung des Wunders und die Ablehnung alles Übernatürlichen in sich schließt. Nie wird die orthodoxe Kirche die in der Heiligen Schrift bezeugten Wunder (wie Durchzug durch das Rote Meer, Mannaspendung, Jungfrauengeburt Jesu, Besuch der Weisen, Taufe Jesu, Versuchung in der Wüste, Verklärung, Auferstehung, Geistsendung) als solche aufgeben. Aber schon seit längerem vertritt man die Auffassung, daß die Verfasser der Heiligen Schrift sich in Stil und Ausdruck absichtlich auf das Niveau ihrer Leser begeben haben, um deren Auffassungsvermögen entgegenzukommen.14 Das Problem stellt sich also für uns nicht in der Entmythologisierung, sondern in der Unterscheidung von Offenbarungsgegenstand und Offenbarungsform oder, anders ausgedrückt: von Inhalt und Sprache.

Diese Fragestellung aber ist so alt wie die Exegese selbst. Deshalb ist es verständlich, daß dieses Thema in der Patristik eine große Rolle spielt.15 Die Diskrepanz zwischen dem Offenbarungsinhalt und der sprachlichen Form, in die er gefaßt ist, wird bei den Vätern mit dem Terminus συγκaτάβασις beschrieben.16 Damit ist gemeint, daß dem Wort ein viel breiterer und tieferer Sinn zugrunde liegt, als es selbst auszudrücken imstande ist. Basilius von Caesarea erklärt: “Jede theologische Stimme ist kleiner als die des aus ihr sprechenden Geistes”17.

 Das bedeutet: Das Gemeinte übertrifft immer das Gesagte.18 Das gesprochene oder geschriebene Wort bleibt immer hinter dem gemeinten Inhalt zurück. Und  es ist die Aufgabe der Exegeten, möglichst nahe an den verborgenen tiefen Sinn heranzukommen.19 Schon Basilius von Caesarea forderte, daß der Wille des Wortes (της λέξεως τo βoύλημα) gesucht werden müsse,20 und daraus wird gefolgert, daß alles, was über Gott gesagt ist, auch gottgemäß (θεοπρεπώς) verstanden werden muß.21

Nach all dem darf man sagen: Die orthodoxe Theologie hat von jeher unterschieden zwischen dem Wesen einer Schriftaussage und deren Hülle. Mit dieser Unterscheidung übt sie eine Art orthodoxer Entmythisierung, das heißt Hinführung von den vorläufigen zu den ewigen und von den weltlichen und zugänglichen zu den transzendenten und unzugänglichen Wahrheiten. “Es ist ein ständiges Postulat der Heiligen Hermeneutik, alle Aussagen der Heiligen Schrift nicht als Mythen -entsprechend dem Ausdruck ihrer Zeit-, sondern als Hilfsmittel zu verstehen, um den Menschen zur Tiefe der höheren Lehre der Heiligen Schrift zu erheben.” 22 Ιn jüngster Zeit greift man wieder auf den cyrillischen Terminus “Beispiel” (παράδειγμα) zurück, um die Differenz von Inhalt und Form zu verdeutlichen, Papapetrou meint, die theologische Sprache bestehe aus Beispielen und diese würden als Symbol benutzt, um den transzendentalen Sinn zu gewinnen. Als Symbol ist das Beispiel κατ' αρχήν der Transzendenz, die es symbolisiert, gleichwertig. Und somit besteht seine Funktion in der Anagoge, denn durch das Beispiel wird der Geist des Menschen dazu erhoben, die göttlichen Wahrheiten zu verstehen.23 Die Anagoge also führt zum Verstehen der Offenbarung Gottes, nicht aber die historisch-grammatische Exegese.24

Die Anagoge aber ist nichts anderes als eine Art allegorischer Deutung. Und diese stellte von jeher den Versuch dar, den Inhalt der Heiligen Schrift vom Mythos als deren menschlicher Ausdrucksform zu befreien. Wie H.Ott festgestellt hat, nennt “Bultmann selber als frühere Versuche der Entmythologisierung die allegorische Exegese und die ältere liberale Theologie, ferner die Theologie der religionsgeschichtlichen Schule”25. Die Anagoge setzt voraus, daß die religiöse Sprache paradigmatisch ist und insofern den menschlichen Geist von der eigenen, historisch bedingten Reatität zu einer Gott entsprechenden Wirklichkeit führt. Sie ist also die einzig mögliche Art, die Unzulänglichkeit der Sprache zu überwinden. Die Bultmannsche Theologie wird von der orthodoxen Exegese abgelehnt. Diese sieht darin, wie N.Nissiotis 26 dargelegt hat, einen Mißbrauch der existentiellen Prinzipien theologischer Forschung, der dahin tendiert, den Glauben in ein subjektives Etlebnis zu verwandeln.

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1. Vellas, Bibelkritik 4.

2. Fast bei allen Exegeten der alten Kirche finden sich kritische Bemerkungen; z.B. wird für ruah’ělōhīm (Gen 1,26) sowohl “Heiliger Geist” als auch “starker Wind” als Verständnismöglichkeit vorgeschlagen.

3. Vellas, Bibelkritik 4.

4. Solche Fragen stellte sich schon die alte Kirche, z.B. bei der Susannaerzählung im Danielbuch oder bei der Geschichte von der Ehebrecherin im Johannesevangelium (Africani de historia Susannae epistula ad Origenem; PG 11,41-48).

5. So z.B. Damalas Interpretation 183f; Zolotas, Johannesevangelium 303f. 308; Dyououniotis, Einleitung 16.

6. Vellas, Die Heilige Schrift 131f.

7. Interpretatio Epistulae ad Hebraeos Argumentum (PG 82, 676).

8. Moralium libri, Praefatio ad cap. 1,2 (PL 75, 517).

9.  Dazu s. Vellas, Die Heilige Schrift 133; Ε. Antoniadis, Grundprinzipien 19f; Τrembelas Dogmatik 1,120.

10. So fehlt z.B. das Stichwort “Entmythologisierung” in der wichtigen Εnzyklopädie REE.

11. Ζ.B. Μ.Siotis, Bultmann 188; Nissiotis, Prolegomena 187f.

12. Κ. Papapetrou, Personen und Themen (Bultmann, Tillich, Bonhoeffer, Rahner), Athen 1967, 7.

13. Nissiotis, Prolegomena 188.

14. So sagt B. Antoniadis, Hermeneutik 58 f: “Es ist wohl möglich, daß die Hagiographen ihre Gedanken in der Bibel der Fassungskraft ihrer Zuhörer angepaßt haben ... Μan darf deshalb annehmen, daß religiöse und ethische Gedanken in Geschichten eingekleidet wurden, die dann Unwissende später als wirkliche Geschichten verstanden”.

15. Dazu s. Papadopoulos, Väter; Papapetrou, Offenbarung; ders., Theologie. 16. “Siehe, welche Nachgiebigkeit die Heilige Schrift übt und gemäß der

menschlichen Gewohnheit diskutiert” (Johannes Chrysostomos, Zur Genesis Hom. 25,2 (PG 53, 222); s. auch ders. Hom. 18,1 (PG 53, 150) und Hom. 22,5 (PG 53, 192).

17.  Siebenter Brief an Gregorius (PG 32, 245 A).

18.  Papapetrou, Theologie 47.

19.  Vgl. Johannes Chysostomos, Zur Genesis Hom. 22,2 (PG 53, 187).

20.  Jesaja-Kommentar Prooemium 6 (PG 30, 128 A).

21.  Johannes Chrysostomos, Zur Genesis Hom. 13,2 (PG 53, 107) und Zur Genesis Hom. 15,2 (PG 53, 121). Vgl. auch Cyrill von Alexandrien, Ιn Joan. Evang. liber 2, 198 (PG 73, 125 A), in: Papapetrou, Theologie 48.

22.  Μ. Siotis, Bultmann 193.

23.  Papapetrou, Theologie 65; s. auch Cyrill von Alexandrien, Ιn Joan. Evang. Prooem. 3 (PG 73, 13 A); liber 3, Κap. ΙΙ, 257 (PG 73, 416) und liber 11, Κap. Ι, 930 (PG 74, 449 C).

24. Papapetrou, Theologie 78; s. auch Ch. Papadopoulos, Hermeneutik 37, der die Anagoge in Anlehnung an Hebr 4,3 versteht.

25. Ott, Entmythologisierung 497.

26.  Existenzialismus und christlicher Glaube, Athen 1956, 181.

 

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