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Elias V. Oiconomou

Bibel und Bibelwissenschaft in der orthodoxen Kirche

 

 

ΙΙ. DER ΚANON DER HEILIGEN SCHRIFT

Die Entstehung der Heiligen Schrift ist erst in der Festlegung des Κanons zum Abschluß gekommen. Der Κanon wiederum bildet die Voraussetzung jeder exegetischen und dogmatischen Theologie. Obwohl der Κanon des Alten und des Neuen Testaments grundsätzlich als Einheit zu betrachten ist, so hatte doch jeder seine eigene Geschichte, von denen sich die eine im jüdischen und im christlichen Raum, die andere nur in dem der Kirche abspielte.

 

1. Die Kanonbildung des Neuen Testaments
Die orthodoxe Kirche ist sich mit der katholischen Kirche darin einig, daß der Κanon des Neuen Testaments 27 Bücher umfaßt: die vier Evangelien, die Apostelgeschichte, vierzehn paulinische Briefe, sieben sogenannte katholische Briefe und die Offenbarung des Johannes. Spärliche Hinweise auf 27 neutestamentliche Bücher finden sich zuerst bei Klemens von Alexandrien († nach 217), ohne daß diese jedoch von den nichtkanonischen Büchern streng getrennt würden. Sein Schüler Origenes († 254 ) kennt alle Bücher des Neuen Testaments als kanonisch, lediglich gegenüber der Apokalypse nimmt er eine schwankende Stellung ein. Sie hat sich in der Ostkirche erst im 6. Jahrhundert durchsetzen können und kam auch später nie zu dem Ansehen, das sie in der Westkirche genoß. Andererseits galt in der Ostkirche der Hebräerbrief meist als ein von Paulus hebräisch verfaßter und von Lukas ins Griechische übersetzter echter Paulusbrief. Als entscheidend für den Κanon der griechischen Kirche gilt der 39. Osterfestbrief des Athanasius von Alexandrien aus dem Jahre 367, in dem erstmals von 27 βιβλία κανονιζόμενα die Rede ist. Unter ausdrücklicher Berufung auf Offb 22,18f (“Niemand soll diesen etwas hinzufügen oder wegnehmen”) werden sie als verbindlich kanonisch bezeichnet. Diese Entscheidung setzte sich auch in der westlichen Kirche durch und wurde für die katholische Kirche durch das Tridentinische Kanondekret 1546 definitiv.

 

2. Die Kanonbildung des Alten Testaments

Schwieriger ist es um die Fixierung des Kanons des Alten Testaments bestellt. Schon die Meinung der Kirchenväter war von Anfang an schwankend. Die einen folgten dem jüdischen und somit engeren Κanon, andere nahmen den erweiterten Κanon mit den sogenannten Anaginoskomena oder deuterokanonischen Büchern an (Tobias, Judit, die drei Makkabäerbücher, das 3. Esrabuch, die Weisheit Salomos, die Weisheit des Sirach, das Gebet des Manasse, Baruch, Brief des Jeremia, Stücke aus Ester und Daniel), und wieder andere erkannten über den jüdischen Κanon hinaus nur einige der Anaginoskomena an.

Der Grund für diese Schwankungen liegt in der Kanonbildung selbst. Die Kirche übernahm das Alte Testament von den Juden in der Form der Septuaginta (LXX), die auch die deuterokanonischen Bücher mit einschloß. So fanden diese unbeanstandet Eingang in die Kirche, und die frühchristlichen Schriftsteller der beiden ersten Jahrhunderte vertreten einhellig diesen erweiterten Κanon der LXX. Dabei muß man jedoch berücksichtigen, daß uns die jüdische LXX unbekannt ist. Was die christlichen Kirchenväter in ihre LXX übernahmen, unterscheidet sich mit Sicherheit vom jüdischen Bestand.1 Das beweisen die uns überlieferten Handschriften der LXX, die in Anordnung und Umfang zum Teil erheblich voneinander abweichen.2 Nach der Zerstörung Jerusalems, als sich der Gegensatz zwischen Juden und Christen verschärfte und das rabbinische Judentum sich endgültig abgrenzte, büßte die LXX bei den Juden ihre bis dahin unbestrittene Geltung ein. Sie zogen sich auf den um 90/95 n.Chr. zu Jabne gefällten Synodenbeschluß zurück, der nur den engeren Κanon mit 24 Büchern (Gen, Ex, Lev, Num, Dtn, Jos, Ri, Sam, Κön, Jes, Jer, Ez, XΙΙ Proph, Pss, Ijob, Spr, Rut, Hld, Koh, Klgl, Est, Dan, Esr/Neh, Chr) gelten ließ.

Erst im Gefolge der theologischen Diskussionen mit den Juden kamen einzelne Kirchenväter des 3.-5. Jahrhunderts dazu, sich auf den reduzierten jüdischen Κanon zu beschränken. So zum Beispiel Epiphanius, Justin und Melito von Sardes. Oft allerdings stimmen bei gewissen Vätern Theorie und Praxis nicht überein. So bekennt sich Origenes zwar auch zu den deuterokanonischen Büchern, hat aber nur die protokanonischen kommentiert. Auch Athanasius unterscheidet zwischen 22 (protokanonischen) Büchern, die der Begründung der Lehre dienen, und einer weiteren Gruppe, die er als “Lesebücher” (Anaginoskomena) bezeichnet. Dies gilt auch für Cyrill von Jerusalem, Epiphanius und Gregor von Nazianz. Nur indirekt kann für jeden Kirchenvater aus Zitaten erschlossen werden, welche Bücher des Alten Testaments er gekannt und als normativ anerkannt hat. Trotzdem hielt weitaus die Mehrheit der griechischen (wie übrigens auch der lateinischen) Väter am erweiterten Κanon fest. Die Bibel der orthodoxen Kirche hat heute den gleichen Umfang wie die katholische, enthält jedoch im Sinne der LXX-Überlieferung zusätzlich 3 Esd und 3 Makk.

 

3. Kriterien für die Aufnahme

Was nun die Kriterien und Maßstäbe anbetrifft, nach denen eine Schrift in den Κanon aufgenommen wurde, so sind in der heutigen westlichen Theologie verschiedene neue Gesichtspunkte herangezogen worden. Zwar wird auch die orthodoxe Bibelforschung die Pluralität der Maßstäbe, die für die altchristliche Kirche galten, nicht in Zweifel ziehen. Diese gilt ihr jedoch nicht als Unzulänglichkeit im einzelnen, sondern als Zeichen der Freiheit und als Zeugnis dafür, daß Gott seine Kirche durch seinen Geist zur Wahrheit führt. Niemals aber wird sie trotz ihrer Einsicht in die geschichtlich-theologischen Bedingtheiten, die bei der Kanonbildung zu berücksichtigen sind3 (auftauchende Häresien, philosophische Tendenzen, Auseinandersetzung mit kulturellen, geistigen und religiösen Strömungen), von einem “Prinzip der prinzipienlosigkeit”4 sprechen, das beim Zustandekommen des Kanons gewaltet hätte. Die orthodoxe Theologie lehnt deshalb Thesen ab, wonach im Volk Israel eine Fülle von Literatur entstanden sei, aus der sich allmählich ein Kernbestand allgemein als normativ anerkannter Bücher herausgeschält hätte.5 Denn sie setzen einen sozio-religiösen Zustand des Volkes Israel voraus, den es nach orthodoxer Ansicht nicht gab. Das würde nämlich bedeuten, daß jeder seine theologischen Ideen nach Gutdünken publizierte und nach freiem Meinungsaustausch die Bestseller auf dem Ideenmarkt der Kirche in den Κanon aufgenommen wurden. Außerdem würde dabei nicht nur der charismatische Charakter der Inspiration übersehen, sondern auch die individuelle Verfasserschaft einer Schrift in Frage gestellt. Die Bibel bezeugt jedoch, daß gerade der Einzelne für die Überlieferung eine wichtige Rolle spielte. So ist zum Beispiel alles, was Mose gesagt hat, nicht einem Überlieferungsprozeß zuzuschreiben. Das gleiche gilt für die Apostel und Evangelisten des Neuen Testaments. Insofern weist das Problem der Anaginoskomena sogar auf die Wichtigkeit der individuellen Verfasserschaft hin.

Es ist eine falsche Hoffnung, hinreichende Gründe und Argumente zu finden, die die Rezeption eines jeden Buches in den Κanon beweisen könnten. Die alte Kirche kannte noch keine starren dogmatischen oder ethischen Prinzipien; sie lebte aus der Erfahrung, daß Glauben und Leben eine Einheit bildeten, und erfuhr ihre Kriterien aus der Gemeinschaft mit dem Leibe Christi. Aus dieser inneren Glaubensgewißheit entschied sie, ob eine Schrift echt oder unecht war, auch wenn deren Verfasser unbekannt blieb.

 

4. Umfang des Kanons

Über den Umfang des Kanons gibt es in der orthodoxen Kirche keinen offiziellen synodalen Beschluß von allgemeiner Gültigkeit. Das Trullanum (691/2) bestätigte zwar im 2. und 32. Κanon die “Apostolischen Kanones” und diejenigen Kanones, die schon die 3. Synode von Karthago (397) genannt hatte, eine Sammlung, die auch einige Anaginoskomena enthielt. Da aber die Trullanische Synode sich

nicht speziell mit dem Schriftkanon beschäftigte, sondern die ihm bekannten Kanones ohne jede Werteinstufung der einzelnen Bücher nur insgesamt billigte, blieb die Unklarheit über den Umfang des Kanons bestehen. Die Beschlüsse der lokalen Synoden, die im 17. Jahrhundert einberufen wurden, gehen auseinander. Die 1672 in Jerusalem tagende Synode legte sich auf den breiteren Κanon fest,6 während die 1629 veröffentlichte Confessio des Patriarchen Cyrill Lukaris als echte Teile der Heiligen Schrift nur den hebräischen Κanon gelten ließ. Die kurz vor der Jerusalemer Synode ebenfalls 1629 zusammengetretene Synode in Konstantinopel wiederum ließ die Aufnahme der Anaginoskomena in den Κanon offen: zwar seien viele Bücher in den Kanones nicht erfaßt, dennoch aber seien sie nicht als heidnisch zu verabscheuen, sondern als gut und tugendhaft zu begrüßen und keinesfalls zu verwerfen.7 Im 18. Jahrhundert scheint sich dann sowohl in der griechischen als auch in der russischen Kirche eine Tendenz zur Anerkennung des engeren Kanons abzuzeichnen. Heute jedoch sprechen sich die meisten Theologen für die Gültigkeit des breiteren Kanons aus.8 Ja, es herrscht sogar die Ansicht vor, daß die Anaginoskomena den übrigen Büchern des Alten Testaments gleichwertig sind9 Dafür führt man drei Gründe an:

a) Das Neue Testament stellt die protokanonischen und die deuterokanonischen Bücher des Alten Testaments unterschiedslos nebeneinander.

b) Sowohl die Kirchenväter10 als auch die lokalen Synoden sprechen sich für die Anerkennung bzw. Duldung der Anaginoskomena aus.

c) Die Anaginoskomena sind in der LXX enthalten; diese aber war von Anfang an der offizielle Bibeltext der Ostkirche, gültig in Theologie, Liturgie und Praxis.

Ein Antrag für die offizielle Anerkennung der Anaginoskomena wurde jüngst in den Themenkatalog der nächsten Panorthodoxen Synode aufgenommen. Daß jedoch auch die interkonfessionellen Differenzen in der Kanonfrage in absehbarer Zeit behoben werden, ist in orthodoxer Sicht nicht zu erwacten.11

_________________________

 

1.  Nach N. Papadopoulos, Die deuterokanonischen Teile 56f enthielt der von den Kirchenvätern übernommene engere Κanon z.B. den Brief des Jeremia, Baruch u.a.., nicht aber das Buch Ester (vgl. E.Oikonomos, Esther 58).

2.  S. dazu N.Bratiotis, Das Alte Testament 64; N.Papadopoulos, a.a.O. 567.

3.  S. dazu Haag, Κanon 920 f.

4.  Aland, Problem 10.

5. So Ohlig, Woher 165. Vgl. auch Haag, a.a.O. 918.

6. “Wir halten mit den anderen echten Büchern der göttlichen Schrift auch diese für echte Teile der Schrift; denn die tradierende Katholische Kirche überlieferte unzweifelhaft die göttlichen und heiligen Evangelien und die anderen Bücher als wahre Teile der Schrift und so auch diese als echte Teile der Schrift, und eine Verneinung derselben bedeutet Übertretung. Wenn es aber manchmal so scheint, daß nicht immer jedes von allen in der Aufzählung miteinbegriffen ist, so werden nichtsdestoweniger auch diese von Synoden und so vielen sehr alten angesehenen Theologen der Katholischen Kirche der ganzen Schrift mit zugezählt. So halten auch wir sie für kanonische Bücher und bekennen, daß sie zur heiligen Schrift gehören." (Karmiris, Dokumente 2, 769 f)

7. Ebd. 693.

8. Gegen eine offizielle Anerkennung des breiteren Kanons sind vor allem

E. Boulgaris, A. Moschopoulos und Κ. Kallinikos.

9. Vgl. P.Bratsiotis, Einführung 516; Vellaς Die Heilige Schrift 122.

10. Dazu besonders N.Papadopouloς, Die deuterokanonischen Teile 53.

11. Ohligs optimistische Ansicht (a.a.O. 211), daß sich “faktisch” alle Kirchen in der Kanonfrage einig seien, nur ihre theologische Begründung, “die allerdings Rückwirkungen auf die Praxis hat”, differiere, mag zwar für die beiden großen westlichen Kirchen zutreffen, fur die orthodoxe Kir- che ist jedoch die Praxis so mit der Theologie verquickt, daß eins nicht ohne das andere gedacht werden kann.  

 

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