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Prof. Dr. Demosthenes Savramis

Der Priester als Nationalsymbol der Griechen

Theologia, ΝΗ', Αthen 1987, S. 275-293.


Der Klerus bewahrte aber das nationale Bewusstsein nicht nur dadurch, dass er den Widerstandsgeist der Griechen wach hielt und förderte, indem er selbst Revolutionen organisierte und ausführte, sondern auch dadurch, dass er der jüngeren Generation half, ihres nationalen Reichtums eingedenk zu sein und ihren orthodoxen Glauben nicht zu vergessen. Die Kirche übernahm während der Türkenherrschaft auch Aufgaben auf dem Gebiet des Schulwesens (1). Mit Recht schreibt Bees (2), dass die Beziehung von Schule und Kirche zur Zeit der Türkenherrschaft enger als je geworden ist.

Jeder Grieche kennt aus seiner Kindheit das bekannte Kinderlied, das in der Türkenherrschaft entstand:
Lieber heller Mond zur Nacht,
leuchte mir, wenn ich noch wach
heimlich in die Schule geh,
dass ich lern das ABC
und den lieben Gott versteh (3).

Dieses Lied erinnert an das «Krypho Scholeio» (=geheime Schule) in den dunklen Räumen der Kirchen, wo die Priester heimlich des Nachts den Kindern die elementaren Kenntnisse über den Glauben und die Nation vermittelten. Diese Tätigkeit lässt noch nicht den Rückschluss zu, dass die Priester besonders gebildet waren. Das geistige Niveau des Klerus war im Gegenteil sehr niedrig(4). Die Geistlichen waren aber die einzigen, die überhaupt in Frage kamen, und deshalb ersetzten sie den Lehrer. Entsprechend seiner eigenen Bildung versuchte der Priester die Kinder in die christlichen Glaubenssätze einzuführen. Oft wurdenihnen — besonders am Anfang des 17. Jahrhunderts — profane Werke (Plutarch, Thukydides, Plato, Aristoteles usw.) vorgelesen.

N. Bees geht in seiner interessanten Untersuchung: «Darstellungen altheidnischer Denker und Autoren in der Kirchenmalerei der Griechen» (5) davon aus, dass die von ihm behandelten Darstellungen aus der Türkenzeit stammen und dass sie im Narthex (=Vorhalle) der Kirchen angebracht sind. Damit glaubt er erwiesen zu haben, dass der Narthex neben religicson Zwecken auch dem Schulunterricht diente. Aber auch ohne diesen Umweg über die Kunst erwähnen alle Historiker die Tatsache, dass die griechischen Kirchen zugleich zu Erziehungsanstalten dienten.

Neben diesen Kirchen-Schulen, wo der Unterricht fast immer nachts und heimlich stattfand, gab es auch offizielle Schulen. Zwei Drittel dieser Schulen — bei Anbruch der Revolution gab es deren 600— wurden von Klerikern gegründet, die sich zugleich ohne Entgelt als Lehrer betätigten. Ein einziger Geistlicher, der heilige Kosmas aus Ätolien (6), soll die Gründung von 247 griechischen Schulen angeregt haben.

Kosmas aus Ätollen gilt zu Recht als das klassische Beispiel des Priesters, der als Nationalsymbol noch heute in die griechische Wirklichkeit hineinwirkt. In seiner Person verkörperte sich der reinste Typ des Hüters des nationalen Bewusstseins. Als Mönch und Priester, Heiliger und Revolutionär, Prediger und Erzieher, Volksführer und Sozialreformer, Prophet und Märtyrer, gehört er zu den leidenschaftlichsten Predigern der Freiheit und der geistigen und geistlichen Erneuerung der griechischen Nation, der zugleich auch soziale Solidarität und Gerechtigkeit (7) von seinen Zuhörern verlangte. Seine Eigenschaft als Priester wird oft so stark von seiner sozialen und nationalen Tätigkeit überdeckt, dass manche Gelehrte die These aufzustellen versuchten, dass Kosmas nur deshalb Priester wurde, um größeren Einfluss ausüben zu können und mehr Erfolg zu haben (8). Allerdings ist die herrschende Meinung, dass er das Priestertum nicht als Mittel zum Zweck ansah, sondern dass er sich deshalb so durchsetzen konnte, weil er eben Priester war. Für unseren Zweck sind jedoch beide Auffassungen wichtig, da sie die soziale und nationale Bedeutung der Tätigkeit der Priester während der Türkenzeit belegen.

Im Jahre 1714 in dem Dorf Megalo Dendro (Ätolien) geboren, setzte sich Kosmas die Erneuerung des Vaterlandes zum einzigen Ziel seines Lebens. Mit 20 Jahren beginnt seine Ausbildung, und er setzt 1743 die geistige und geistliche Vorbereitung auf dem Berg Athos in der Athonias Schule, die damals als ein Ersatz für eine Universität anzusehen war, fort. Nach reifer Überlegung wurde er mit 45 Jahren Priester, und er betrachtete das versklavte Griechenland als seine Pfarrei und sprach jeden Christen als Mitglied seiner Gemeinde an. Wie der Apostel Paulus bereiste er wiederholt 19 Jahre lang (1760-1779) mehrere Provinzen Griechenlands. Er bemühte sich, durch seine Predigten, die zumeist eine gegen die Reichen gerichtete Sozialkritik zum Inhalt hatten, und durch seine Taten das griechische Volk in religiöser und nationaler Hinsicht aufzurütteln. Thrake, Mazedonien, Rumeli und Epiros gehörten zu den Gebieten, die Kosmas missionierte, indem er jedes Dorf besuchte. Sein Einfluss und die Ausstrahlung seiner Predigten wuchsen so stark, dass ihn schon bald 40-50 Priester und ca. 10.000 Gläubige auf seinen Missionsreisen begleiteten. Sein christlicher Eifer riss ihn auch zu einer scharfen Polemik gegen die Juden und das Judentum hin (9). So verleumdeten ihn die Juden von Jannina als revolutionären politischen Agenten Russlands, und sie veranlassten den Gouverneur Kur t-Pasch a, den heiligen Kosmas erdrosseln zu lassen (10). So erlitt er am 24. August 1779, als 65 Jähriger, in Aulona den Tod eines Märtyrers (11). Die griechisch-orthodoxe Kirche feiert ihn als einen den Aposteln gleichgestellten Heiligen. Sein ganzes Leben und Wirken bleibt ein geschichtlicher Beweis dafür, dass der griechische Klerus sich während der Türkenzeit politisch und sozial stark engagierte und dass die Nachwelt ihn deshalb mit Recht als Hüter des Nationalbewusstseins betrachtet.

Letzteres soll aber keinesfalls eine Idealisierung des gesamten Klerus darstellen. Die Kritik, die Georg Finley (12) z.B. übt, wenn er sagt, dass auch die griechische Kirche mehr ihre Interessen und weniger das nationale Gefühl pflegte oder dass die Bischöfe eine große Verantwortung für die schlechte geistige Situation der Griechen tragen, beleuchtet m. E. gewiss eine Seite des Klerus der Türkenzeit. Sie kann aber an der geschichtlich belegten Tatsache nichts ändern, dass der Klerus das Nationalgefühl, die Sprache, die nationalen Hoffungen und den nationalen Stolz der Griechen erhielt und klass damit die Geistlichen dazu beitrugen, dass Griechenland als Nation vor dem Untergang bewahrt wurde.

Vor den Augen der nüchternen und sachlichen Forschung bricht vielmals der Mythos, der um den Priester der Türkenzeit entstanden ist und sich nicht immer mit der geschichtlichen Wirklichkeit vereinbaren lässt, zusammen. Dieser Mythos rankt sich aber um einen historischen Kern, da es zahlreiche geschichtlich belegte Beispiele gibt, die als Ausgangspunkt auszumachen sind.





Note

1. Vgl. dazu Evangelidis, T., Die Erziehung während der türkischen Herrschaft, (2 Bde), Athen 1936. (griech.).

2. Bees, A. N., Darstellungen altheidnischer Denker und Autoren in der Kirchenmalerei der Griechen, in: Byzantinisch — neugriechische Jahrbücher, 4,1923, S. 127.

3. Aus dem Neugriechischen von Steinmetz, A., übersetzt in Hellas, 4, 1963, S. 127.

4. Vgl. Bakalopoulos, A., Geschichte des neuen Griechentums, Bd 2,1, Thessaloniki 1964, S. 259ff (=Der Beitrag des Klerus zur Verbesserung des geistigen Niveaus des griechischen Volkes) (griech.).

5. a.a.O., S. 107-128 und bes. 126.

6. Über Leben und Wirken des heiligen Kosmas aus Ätolien siehe: Christodoulidis, S., Kosmas aus Ätolien: Akolouthie und Leben, Venedig 1S14; Kosmas der heilige Märtyrer: Lehre, Pyrgos 1897; Evangelidis, T., Kosmas aus Ätolien, Bolos 1912; Michalopoulos, Ph., Kosmas aus Ätolien, Athen 1940; Politis, D., Die sozialen Ideen des Kosmas aus Ätolien, in: Hellenismos tou Exoterikou (1949); Kandiotis, A., Kosmas aus Ätolien: Lehre, Leben, Akolouthie, Bolos 1950; Papakyriakou, S., Lehre, Briefe und Martyrium des heiligen Kosmas aus Ätolien, Athen 1953, und Basilopoulos, Char., Der heilige Kosmas aus Ätolien und sein Werk. Athen 1955. Ferner vgl. Bees, N., in: Eleutheroudakis: Enzyklopädisches Lexikon, Athen 1930, 8. Bd, S. 61; Papadopoulos, A., in: Grosse Griechische Enzyklopädie, 2. Bd, S. 915; Bobolinis, K., a.a.O., S. 70ff und Giakos, Dem., Kosmas aus Ätolien: Der Nationalapostel, in: Aktines, 29, 1966, S. 66-74 (alles griech.). Vgl. noch dazu Krause, W., Kosmas der Ätolier und seine Prophezeiungen, in: Mitteilungen des österreichischen Staatsarchivs, Wien 1950, S. 404-435.

7. Vgl. auch Bakalopoulos, A., a.a.O., i. Bd, S. 278.

8. Vgl. Basilopoulos, Chr., Kosmas aus Ätolien als Priester, in: Enoria, 9, 1954, S. 252.

9. Vgl. Bees, A. N., Übersicht über die Geschichte des Judentums von Jannina (Epirus), in: Byzantinisch-Neugriechische Jahrbücher, 2, 1921, S. 169.

10. Vgl. Arabandinos, P., Chronographia tes Epeirou, 1. Bd, Athen 1856, S. 267f.

11. Vgl. Antonopoulos, Job., Ein grosser Kämpfer, in: Enoria, 4, 1949, S. 281-282.

12. Finley, G., History of Greece, 6. Bd, Oxford 1877, S. 8ff.

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