Stylianos G. Papadopoulos
Beitrag zur Theologie der Einheit
Zum Dekret über den Oekumenismus
1. ZUR EINFÜHRUNG
Die vorliegende Untersuchung ist sowohl eine freie Formulierung von Gedanken, die durch das Konzilsdekret "De Oecumenismo" angeregt wurden, wie eine durchgängige Kritik dieses Dekrets. Dieser Kritik geht es zugleich um die Diskussion allgemeiner Prinzipien, die das Ökumenismusdekret aufstellt oder voraussetzt. Diese Diskussion wird aber nur im Zusammenhang mit dem im ersten Teil der vorliegenden kleinen Studie Enthaltenen verständlich.
Doch bevor wir uns an diese schwierige Aufgabe machen, sei hier im Vorwort folgendes unterstrichen: Eingestandenermaßen fällt es uns schwer auszusagen, was im Zusammenhang mit der heiligen Sache der Einheit der Herde Christi unser Herz bedrückt. Wir bitten die Brüder um Verzeihung, die vielleicht durch unsere bescheidenen Gedanken gekränkt werden. Wir versichern diesen Brüdern, daß wir so geschrieben haben, weil wir die Einheit überaus geliebt und an ihrem Fehlen gelitten haben. Bei Abfassung dieser Schrift befallen uns "Furcht und Schrecken" (1 Kor 2,3), daß wir uns vielleicht "unbewährt im Glauben" (2 Tim 3,8) erweisen und unser "Wandel in Christus als nicht gut" befunden wird (1Petr 3,16), weil wir bei diesem Unterfangen nicht genügend bemüht sind, nach der Ermahnung des Apostels Petrus zu handeln: "Seid vielmehr in eurem ganzen Wandel heilig, es steht ja geschrieben: Seid heilig, weil ich heilig bin" (1 Petr 1,15-16).
Das Konzilsdekret "De Oecumenismo", das von Papst Pau1 VI. am 21. November 1964 verkündet wurde, ist die Komponente der Tendenzen, die innerhalb der beiden letzten Jahrzehnte in dem wahrhaft weiten Schoß der römisch-katholischen Kirche in Zusammenhang mit dem Problem der Einheit(1) der Kirchen vorherrschten. Vorkämpfer und Wegbereiter der Abfassung dieses Konzilsdokuments, denen der Vatikan noch wenige Jahre vor der Einberufung des Zweiten Vatikanums die kirchliche Lehr- und Publikationserlaubnis entzogen hatte, hätten in dem Dekret gerne ermutigendere Ansätze gesehen. Derselben Meinung war eine große Zahl von Bischöfen auf dem Konzil. Aber eine andere Gruppe von Bischöfen hielt das vorliegende Dokument für liberal in gefährlichem Ausmaß, weil ihre Kirche darin -so argumentierten sie- das "mea culpa" spreche und den anderen Kirchen entgegenkomme. Die römische Kirche hat in dieser Notlage, die gegensätzlichen Strömungen in ihrem lebendigen Schoß zu bewältigen, wieder einmal ihr Talent bewiesen, zu vermitteln und ihre Zuflucht zum Gemeinsamen beider Richtungen und zu einem Mittelweg zu nehmen.
Wir wollen hier nicht zum Kritiker dieser Tendenz und Neigung der römisch-katholischen Kirche werden. Was immer aber auch ein Orthodoxer am Ökumenismus- dekret zu bemängeln hat, beharren wir doch darauf, daß es sich um ein einsichtsvolles Dokument handelt, um so mehr, als es sich an die Glieder der römisch- katholischen Kirche richtet, von denen heute viele, sei es aus konservativer Einstellung, sei es aus dem Drängen nach größerer Freiheit, in Aufruhr geraten sind und sich -im engeren oder weiteren Sinne spielt keine Rolle- in einander bekämpfende Gruppen gespalten haben, zu deren verschiedenartigster Befriedung der Vatikan keine Mühe scheut. Und vielleicht handelt er damit auch richtig, da er genau weiß, was kirchlicher Liberalismus und in seiner Folge der Protestantismus, und was Traditionalismus und auf dessen Boden die altkatholische Kirche für Rom bedeuten.
Nur dann, wenn wir Orthodoxen das Ökumenismus- dekret im Licht der obigen Faktoren sehen, werden wir bei all unserem Kummer Verständnis für verschiedene ernste Merkmale und Tatsachen zeigen, wie z.B., daß nirgendwo in dem Dokument die heilige, katholische und apostolische orthodoxe Kirche apostolisch(2) oder orthodox genannt wird, sondern allgemeine, herabsetzende und unglücklich gewählte Begriffe wie "orientalische Kirchen"(3) oder "patriarchale Kirchen"(4) zur Anwendung kommen. Gleichzeitig freuen wir uns aber über die Vielzahl von Aussagen des Dokuments, in denen der "Reichtum"(5) der "orientalischen Kirchen" bejaht, und daß nirgends -zumindest unmittelbar- die alte einheitsfeindliche Phrase anzutreffen ist: die Mutter Kirche (= Rom) öffnet ihre Arme, um die Schismatiker aufzunehmen. Viele Konzilsväter sprachen mit tiefer Aufrichtigkeit ergreifende Ansichten über die orthodoxe Kirche aus -viel weitgehender als das, was sich im Text des Ökumenismusdekrets findet- und brachten direkt ihre Unzufriedenheit mit dem kirchenrechtlichen Charakter des Dokuments zum Ausdruck(6).
Man könnte zu Recht sagen, daß die Orthodoxen mit dem ihnen gegenüber herrschenden Geist vieler Bischöfe und Konzilsteilnehmer zufriedener sein können als mit dem Ökumenismusdekret als solchem.
Weiters haben wir auch darauf hinzuweisen, daß wir Orthodoxen noch nicht in der Lage sind, wenn wir es auch wünschen, unsrerseits einem positiveren Beitrag zu entsprechen, zu dem sich jedenfalls die römisch- katholische Kirche auf ihrem letzten Konzil als unvermögend erwiesen hat.
Allgemein beurteilt, haben wir aber auch nicht mehr erwartet, denn ein Konzil bestätigt nur und besiegelt einfach in Form allgemein anerkannter Schemata die von den Söhnen der das Konzil einberufenden Kirche in den letzten Jahren aufgestellten Formulierungen. Das genannte Konzil faßte überdies mit glücklicher Hand einfach zusammen, was von den Theologen gelehrt und vom römisch-katholischen Volk zur Zeit des Konzils geglaubt wurde. Eingestandenermaßen stellt diese Zusammenfassung ohne Übertreibung einen gewaltigen Schritt nach vorne dar, wenn wir ihren Inhalt zwar nicht an den orthodoxen Erwartungen, wohl aber an dem messen, was von den offiziellen vatikanischen Kreisen aus römisch-katholischer Sicht vor dem verewigten Papst Johannes XXÜI. gelehrt, geschrieben und behauptet wurde.
So liegt der Wert des Dekrets in letzter Analyse hauptsächlich in der Tatsache, daß es in fester und klarer Weise die vor Papst Johannes XXÜI. anzutreffende offizielle Haltung des Vatikan zum Thema der christlichen Einheit überwunden hat.
Nach Festlegung dieser grundsätzlichen orthodoxen Sicht von Inhalt und Bedeutung des Ökumenismus- dekrets gehen wir zu den Gedanken über, die sich uns bei dessen sorgfältigem Studium aufgedrängt haben.
2. ZUR THEOLOGIE DER EINHEIT
a) Differenzierende Theologie und gespaltener Mensch
Jene Theologie, die von der Mehrzahl christlicher Theologen seit dem 9. Jahrhundert geübt wird, wagen wir als differenzierende Theologie zu bezeichnen.
Jahrhundertelang stand diese beflissen im Dienste de Vervielfältigung der Differenzen zwischen den Kirchen Legionen von Theologen der römischen und der orthodoxen katholischen Kirche haben in ihren Werken die Haltung der beiden altchristlichen Kirchen unter einander so klar und verschiedenartig differenziert daß sich diese heute fremd, wenn nicht sogar feindlich gegenüberstehen. Die Kirchengeschichte gibt davon unwiderruflich Zeugnis. Diese Theologie hat nicht nur die zwischen Ost und West bestehenden Unterschiede bewußt gemacht, sondern sie auch erheblich vermehrt. Besonders die Geschichte der Kontroverstheologie ist ein Beleg dafür. Das soll natürlich nicht bedeuten, daß wir uns der Ansicht anschließen, nach der die bestehenden Differenzen zwischen den christlichen Gruppen unerkannt bleiben können. Wenn wir dem Verbleiben in Irrtum zustimmten, würden wir den Irrtum als solcher bejahen, den wir jedoch aufzeigen und immer und überall vermeiden müssen. Um nicht im Irrtum zu leben und uns unbewußt in Irrtümern zu bewegen müssen wir die Differenzen auf jeden Fall aufzeigen. Wir gestehen ein, daß diese Aufgabe uns überaus leicht fällt, da sie der inneren Struktur des Menschen entspricht, der seit Adams Sündenfall ein zutiefst gespaltenes Wesen zu sein scheint, das unaufhaltsam Trennungen und Spaltungen zuneigt und imstande ist, die Mücke zu sehen und das Kamel zu verschludcken(7); denn die göttliche Vorsehung hat dem Satan gestattet, den Menschen temporär gefangen zu halten und nach seinem dämonischen Willen über den Verstand, das Herz und die vitale und instinktive Kraft des Menschen zu verfügen, mit dem Ergebnis, daß dieser seiner existentiellen Einheit verlustig ging.
Diese existentielle Einheit war ein rein dynamischer Zustand, Abbild und Charakter der Einheit zwischen den drei Personen der Heiligen Dreifaltigkeit. Wie das Bestehen dieser Einheit ihr Gefäß, d. h. den Menschen, zur Einheit mit Gott in Gedanken und Werken führt, so stehen bei ihrem Fehlen die menschlichen Kräfte unter dem einheitszersetzenden spaltenden Einfluß des Satans, des Fürsten dieser Welt(8). Diese Überlegungen bieten die Grundlage zum Verständnis des starken Strebens im Menschen, das diesen zu ständiger Differenzierung treibt, zur Unterscheidung und Trennung von allem, und seine materielle und geistige Umwelt nach Bild und Gleichnis des Menschen ohne Einheit gestaltet und beeinflußt.
Aber die Erklärung der Neigung zur Schaffung und Auffindung immer zahlreicherer Verschiedenheiten und Unterschiede als Ergebnis des Verlustes der existentiellen Einheit des Menschen ist gleichzeitig keine zureichende Rechtfertigung und Legalisierung der fortwährenden differenzierenden Theologie vom 9. Jahrhundert an (9). Vielmehr bedeutet die Tatsache, daß die christliche Theologie fortwährend differenziert, den weitgehenden Verlust ihrer Ausrichtung und zutreffenden Zielsetzung.
b) Die Theologie als Ausdruck des Lebens in Christus
Die Existenz vieler und verschiedenartiger Differenzen darf jedoch die Einheitsbemühungen um keinen Preis aufschieben. Was dabei aber eine erstrangige Rolle spielt, ist die Methode der Annäherung an die Einheit, die nach unserer Ansicht nur durch dynamische Überwindung(10) der Unterschiede, und nicht einfach durch deren Überbrückung zu erreichen ist, wie von den meisten Theologen bis heute gefordert wurde.
Bevor wir zur Diskussion über die Theologie schreiten, die zu einer dynamischen Überwindung der Differenzen imstande ist, halten wir es für zweckmäßig, folgendes zu unterstreichen: Häufig gerät die Tatsache in Vergessenheit, daß die Theologie nicht nur Ausdruck des Lebens der Kirche, sondern auch selbst Leben der Kirche ist, im selben Maße wie Liturgie, Diakonie und Verkündigung. Daher werden wir im folgenden unter Theologie eine der Formen des Lebens der Kirche verstehen, deren Gründer und Haupt Christus ist, "in dessen Namen" der Vater "den Beistand, den Heiligen Geist" ( Jo 14,26) sendet, um die Kirche zu bewahren und zu mehren, zu deren Leben auch die Theologie gehört. Der Theologe hat die Pflicht, ein "heiliger und weiser Mann"(11) zu sein, seine Theologie hingegen ist "geistliche Wissenschaft" in weiterem Sinne und "wie das Priestertum eine theologische Diakonie"(12), um an dieser Stelle weise und heilige Worte eines orthodoxen Bischofs in Erinnerung zu rufen. In diesen Begriff der Theologie beziehen wir alle ihre Stadien ein.
Damit eine Theologie der obigen Anforderung, Leben der Kirche zu sein, gerecht wird, hat sie den besonderen Problemen jeder Epoche zu antworten und sich in den jeweiligen Theologen als Geschenk des Heiligen Geistes zu entfalten, der von einer bestimmten Sprache und geistigen Veranlagung Gebrauch macht. Die Geschichte der Theologie vor dem 10. Jahrhundert beweist, wie begründet das oben über die Theologie Gesagte ist. Die Höhepunkte der Theologie, wie die Lehre und die Auseinandersetzungen über das Verhältnis der drei Personen in der Heiligen Dreifaltigkeit (= Triadologie), über die Person des Erlösers Christus ( = Christologie) und über den Heiligen Geist (= Pneumatologie) lassen sich nur als Versuch einer Antwort auf die drängenden und konkreten Probleme einer bestimmten Zeit erklären. Da aber die Antworten, die diesen Fragen von den Kirchenvätern erteilt wurden, göttlich inspiriert waren, verblieben sie der Kirche als unveränderliche Regel geistlicher Erfahrung, die für dieselben Probleme immer gültig bleibt und Licht auf die Bewältigung neuer Fragen wirft. Parallel dazu setzt auch die nach schweren Auseinandersetzungen erfolgte Annahme der Beschlüsse der Allgemeinen Konzilien durch die Mehrheit der Ortskirchen die Erleuchtung des Heiligen Geistes bei der Entstehung und Ausprägung dieser Theologie voraus. Die Väter und Theologen(13) der sieben Allgemeinen Konzilien waren Zungen Gottes, die aus der Erfahrung ihres Lebens in Christus sprachen. Ihre Theologie war eine Fortsetzung des Evangeliums, eine Fortsetzung der Prophetie.
Dieser prophetische Charakter garantierte die Einheit ihrer Standpunkte und Lehren, die Ausdruds des Lebens in dem "neuen" Menschen Christus waren, das in seinem Wesen in jedem bewußten Glied der Kirche ein und dasselbe ist. Aber die wesentliche Einheit dieser prophetischen Darlegung des Lebens in Christus schließt keineswegs Verschiedenheit der Formen aus, da die Menschen, die ihr als Werkzeuge dienen, über verschiedene Mentalität und einen unterschiedlichen Vollkommenheitsgrad verfügen. Die Verschiedenheit der menschlichen Charaktere und der unterschiedliche Vollkommenheitsgrad, die beide wie alles der absoluten Einheit Zuwiderlaufende auf die Sünde Adams und den aus dieser resultierenden tiefen und weitreichenden Einfluß des Satans zurückzuführen sind, bilden das Drama der Kirche, deren Glieder nicht immer zwischen Wesen und Form zu unterscheiden verstehen, mit der Folge, daß sie formale Gesichtspunkte für wesentlich halten (der Fehler des Traditionalismus) oder die zentrale Wesenheit relativieren (der Fehltritt des Reformismus).
Der theologische Ausdruck des "Lebens in Christus", wie wir der Kürze halber den Zustand des "Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir"(14) ckarakterisiert haben, stellt aus verschiedenen Gründen ein überaus schwieriges Unterfangen dar, unter anderem wegen des gleichzeitigen Anspruches vieler theologischer Systeme, als einzig authentische Interpretation des Lebens in Christus anerkannt zu werden. Was also von den Allgemeinen Konzilien festgesetzt und vom Volk der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche geglaubt wurde, kam aus der feurigen Esse gegenteiliger Anschauungen und Lehren, die von der Kirche schließlich in der Kraft des Heiligen Geistes als irrig aufgezeigt, abgelehnt und verurteilt wurden.
Was die Verurteilung der Irrlehren, die von Zeit zu Zeit im Schoß der Kirche auftreten, betrifft, ind wir zur Feststellung verpflichtet, daß das Fehlen oder die Seltenheit dieses Verfahrens das Fehlen echten kirchlichen Lebens aufzeigt. Die Kirche von heute verurteilt nicht oder wenig. Warum? Ist sie etwa nicht mehr im Bewußtsein ihrer Authentizität, gibt es in ihrem Schoß keine verurteilungswürdigen Lehren mehr, oder fehlt es ihr an Theologie für all dieses? Die Realität läßt diese Fragen leider nur allzu berechtigt erscheinen.
c) Gibt es eine überbrückende Theologie und vorurteilsf reie Forschung?
Nach diesem Einschub über die Theologie als Ausdruck des Lebens in Christus kommen wir auf die Problematik des Theologen in der Kirche zurück, der sich mit dem Wunsch des Hohenpriesters Christus, "daß alle eins seien", konfrontiert sieht. Wir haben schon gesagt, daß es dazu keiner Theologie bedarf, die die bestehenden Gegensätze "überbrückt", sondern diese dynamisch "überwindet". Eine überbrückende Theologie, von der die zuwiderlaufenden Ansichten harmonisiert werden, wagen wir in letzter Analyse als inexistent zu bezeichnen. Freilich können in verschiedenen Fällen der Erforschung und Überprüfung einer historischen Frage Theologen verschiedener Kirchen zu einer Übereinkunft gelangen, die zweitrangige historische Fakten, aber nie Bekenntnisprobleme berühren wird. Wenn ein historisches Phänomen auf beliebige Weise mit der Konfessionsfrage verbunden ist, dann wird der mit seiner Interpretation Beschäftigte dieses aus dem Blickwinkel seiner Konfession zu erklären suchen. Und das wird um so mehr der Fall sein, als es für jeden beliebigen Forscher überaus schwierig ist, sich über sich selbst und seine Umgebung zur Anwendung objektiver - wenn es sie gibt! - Forschungskriterien zu erheben, und zweitens jeder Forscher, der sich zu einer Kirche bekennt, dieser treu bleiben will, und bei jeder seiner Untersuchungen deren Bekenntnisinhalt voraussetzt. Der Glaubensinhalt eines jeden gläubigen Forschers ist für diesen höchstes Kriterium, durch das er die Tatsachen sieht und interpretiert, aus denen sich die Geschichte seiner Konfession zusammensetzt, die für ihn die "Eine", "Heilige" und "Apostolische" ist. Für den gläubigen Forscher einer Kirche fällt überhaupt deren Geschichte in vielem mit der Geschichte des Wirkens des Heiligen Geistes in der Gesamtkirche zusammen. Von da her wird verständlich, wie schwierig es für den Gläubigen ist, das Wirken des Heiligen Geistes unter seiner Kirche fremden Voraussetzungen entsprechend zu deuten, mag er sich auch klar der Fehler bewußt sein, in die seine Kirche verfiel oder verfallen sein könnte.
Um so mehr verlangt auch die Kirche als Konfession(15) - und sie muß es verlangen - von seiten der Forscher, die ihr angehören, getreue Wahrung ihrer eigenen Voraussetzungen, die Faktoren der einzelnen Stationen ihrer Geschichte waren, und zu deren Neuwertung die Gläubigen jeweils gerufen sind. Wenn diese konfessionellen Voraussetzungen nicht beachtet werden, dann "wird der letzte Irrtum schlimmer als der erste sein"(16), denn das wäre mit dem Versuch vorurteilsfreier Betrachtung einer Geschichte gleichzusetzen, die nicht "Geschichte", sondern "Heilsgeschichte" ist, die Gott Vater als Schöpfer, Christus als Erlöser des Menschengeschlechts und den Heiligen Geist als den Wahrer und Mehrer der Kirche voraussetzt.
Voraussetzungslose Forschung im Raum der heiligen Geschichte - und in weiterem Sinne ist alle Geschichte heilig für jene, die anerkennen, daß die Welt von einem persönlichen Gott erschaffen wurde, der sich in den Propheten und durch den um der Erlösung aller willen fleischgewordenen Retter Christus geoffenbart hat - können in letzter Analyse nur der Kirche nicht bewußt angehörende Historiker und Philosophen betreiben, deren Ergebnisse jedoch - wie wir nur zu gut wissen - dem Geist der Offenbarung zutiefst fremd sind. Und das deshalb, weil die Forscher "draußen vor der Tür" nicht imstande sind und sich weigern, das Wirken des Heiligen Geistes in der Geschichte anzuerkennen. Wenn wir als Glieder der Kirche eine Fülle von Ereignissen als Ergebnisse des Eingreifens des Heiligen Geistes auffassen, und zwar sowohl in die Ordnung der Welt wie der Natur(17), so werden die Außenstehenden, wie wir annehmen müssen, diese Tatsachen entweder fehlinterpretieren, ableugnen oder für einen Mythos halten, da sie nicht an den Heiligen Geist glauben. In dieser Weise ist aber wesentlich die "vorurteilsfreie" Forschung beschaffen. Wir könnten auch ins Treffen führen, daß selbst diese Vorurteilslosigkeit ganz und gar nicht voraussetzungslos ist, da es keinen Forscher gibt, der ohne bestimmte Orientierung wäre. Ein Forscher, mag er auch nicht Christ sein, wird eben einer anderen Religion oder Weltanschauung angehören, die nichts anderes als Religionsersatz ist. Folglich stellen die Forderungen nach objektiver Erklärung und Betrachtung der Geschichte in der Tat eine Utopie ersten Ranges und nichts anderes als einen Glaubensartikel der wissenschaftlichen Religion des Historismus dar, der die Theologie ernsthaft bedroht. Was der Historismus Objektivität der Untersuchung nennt, muß von der Kirche durch den Begriff Wahrheitserkenntnis im Licht des Heiligen Geistes ersetzt werden.
In der Praxis erweist sich die Übung einer historischen Phänomenologie als unmöglich, und jede Kirche hat ihren mit theologischer und historischer Forschung beschäftigten Mitgliedern immer und in jeder Beziehung die Wahrung ihres Bekenntnisgehaltes bei aller Ehrbarkeit der Absichten und Methoden zu empfehlen. Die Aufforderung einer Kirche zu utopistischer Objektivität wäre mit der Selbstwiderlegung dieser Kirche gleichbedeutend, da sie auf diese Weise ihr einziges Vorrecht, alles in Christus durch den Heiligen Geist werten zu können, leugnen würde. Diese Wertung ist christusförmig, da der Gesichtswinkel, unter dem die Glieder der Kirche alles betrachten, christusbezogen ist.
Gegen eine solche Verurteilung des unerreichbaren Objektivitätsstrebens können viele Einwände geltend gemacht werden, da für jeden geistigen Menschen unserer Zeit die Achtung vor der Objektivität einfach selbstverständlich ist. Wir stemmen uns auch gegen dieses Tabu, da es voraussetzungslose Forschung beinhaltet und fordert, folglich vom Menschen die Übersteigung seiner selbst verlangt, was ihm aber mit seinen eigenen Kräften unmöglich ist. Von dieser Utopie und von der Gefahr einer solchen Utopie müssen wir gerade den außerhalb der Kirche stehenden Menschen befreien, und nicht umgekehrt selbst ihre Opfer werden. In einer Zeit, in der die Kirche unter der Last der äußeren Einflüsse gebeugt ist und die Verweltlichung ihre Existenz bedroht, ist es vorzuziehen, daß sie selbst durch Schaffung neuer Begriffe Widerstand leistet, statt die Begriffe der Gegner einfach zu übernehmen. Angesichts der Gegebenheit, daß das Werk dieser Erfüllung, zumindest in unseren Tagen, alles andere als erfolgreich ist, was auf das Unvermögen der theologisierenden Glieder der Kirche zurückzuführen ist, geben wir im konkreten Fall der alten Taktik der Kirche den Vorzug, die bei Bedrohung durch eine bestimmte Lehre heftig gegen diese reagierte und alles ablehnte, was nur irgendwie an diese erinnerte. War im Gegenteil die Kirche nicht in Gefahr, sondern fühlte sich stark, waren die betreffende Lehre oder der Zeitgeist jedoch schwach, dann übernahm sie mit Leichtigkeit die fremden Elemente, denen sie jedoch neuen Geist in Christus einhauchte.
d) Der "Rest" der Theologie
Im obigen haben wir unterstrichen, soweit das Raum, Zeit und unser Vermögen erlaubten, daß die zur Aufnahme des Dialogs Bereiten ehrfürchtig die konfessionellen Voraussetzungen ihrer Kirchen zu wahren haben. Es ist nur die Folge davon, daß eine eventuelle Überprüfung von Geschichte und Lehre nicht nur der nach dem 9. Jahrhundert getrennten Kirchen, sondern auch der einen, Alten Kirche der sieben Allgemeinen Konzilien, keine wesentlichen Neuklassifizierungen und Vorteile zu bieten vermag, da genau auch in diesem Stadium die konfessionellen Voraussetzungen ihren Einfluß ausüben werden, auf deren Basis die Vertreter der Kirchen urteilten und zu ihren Entschlüssen gelangten. Ein neues Element, das zweitrangige Neubeurteilungen historischer Fakten verspricht, wird freilich bei einem zukünftigen gemeinsamen Studium der Vergangenheit die vermehrte Reinheit der Absichten der die Kirchen vertretenden Forscher darstellen, die bemüht sein werden, alle Vorurteile und Mißverständnisse auf ein Mindestmaß zu beschränken.
Aber auf diese Weise wird auch dem einfachsten Gläubigen verständlich, daß dabei keine Fortschritte in Richtung der ersehnten Einheit erzielt werden, sondern daß wir im Gegenteil zum Rückschritt verurteilt sind, da eine neue Erforschung der Vergangenheit ungeachtet ihrer eindrucksvollen positiven Ergebnisse ebenso die Gefahr der Entdedsung neuer, bisher unbekannter Unterschiede in sich birgt, wie wir das schon andernorts dargelegt haben. Daher muß man die Frage stellen: Ist das besorgte Wort unseres Herrn, "daß alle eins seien", nichts als ein leeres Wort? Die Antwort kann nur verneinend ausfallen. Was aber dann? Dann tragen wir Gläubigen die Schuld. Nachdem der Weg, den wir eingeschlagen haben, nicht zur Einheit aller geführt hat, müssen wir nach einem neuen Weg, einer neuen Theologie Ausschau halten. Konkret gesagt: nach einer neuen Methode.
Die Behauptung, daß die Theologie nicht den richtigen Weg eingeschlagen hat, daß sie nicht die ihr gemäße Methode gefunden hat, leugnet nicht die Existenz rechter und im allgemeineren Sinne rechtgläubiger Theologie, obwohl gleichzeitig die Mehrheit der Theologen die obige Behauptung rechtfertigt. Würden wir das vollständige Fehlen rechtgläubiger, das heißt dieses Namens würdiger Theologie behaupten, gerieten wir in Gefahr, das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche zu leugnen, da diese doch vom Heiligen Geist erhalten und geführt wird. Das um so mehr, als das Leben der Kirche nirgends als Ergebnis einer erworbenen Lebendigkeit verständlich wird. Jedenfalls, da die Kirche immer existieren wird ("die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen")(18), verfügt sie sicherlich auch über treue, erprobte Glieder. So wenige sie auch sein mögen, stellen sie den verbleibenden auserwählten Rest und den "kleinen Sauerteig" dar, der verpflichtet und imstande ist, den ganzen "Teig"(19) zu durchsäuern, was auch tatsächlich, wie und wann immer Gott will, eintreten wird.
Die Geschichte der Kirche ist ein unwiderlegbarer Zeuge dafür. Mehr als einmal machte die heilige und rettende Arche den Eindruck eines den heftigen Wogen überlassenen oder untergehenden Schiffes. Als Beispiel diene die Zeit des Vorherrschens des Arianismus und des Bilderstreites. In diesen langfristigen Prüfungszeiten der Kirche fanden sich einige, um als auserwählte Gefäße zu dienen, als Propheten zur Durchsäuerung des gesamten Kirchenvolkes und zur Verherrlichung der rechten Lehre.
Allerdings stellen der Arianismus und der Bilderstreit beileibe keine Parallelen zu der in vielem nicht rechtgeratenen Theologie der Gegenwart dar. Wir müssen jedoch eingestehen, daß aus einer nicht rechtgeratenen Theologie Übel aller Art hervorgehen können. Wenn uns eine schwer zu ertragende Besorgnis erfaßt hat, so ist diese auf das im Laufe der Zeit erworbene Bewußtsein der Folgen einer nicht wohlgeratenen und ständig differenzierenden Theologie zurückzuführen, die wir nach vorausgegangener Verchristlichung unser selbs zur Verherrlichung der rechten Lehre zu verchristlichen haben, denn nichts anderes bedeutet Einheit der Kirchen.
Aber zurück zum auserwählten Rest der Theologie von dem wir oben gesprochen haben. Seine Existenz in der Periode nach dem 9. Jahrhundert erkennen wir nicht nur theoretisch an, sondern finden ihn in bestimmten Persönlichkeiten wieder, wie im Osten z. B. in Symeon, dem neuen Theologen, im 11. und in Gregorios Palamas im 14. Jahrhundert, die -zuallererst Heilige in der Kirche und dann erst Theologen- ein Werk hervorbrachten, das Ausdruck ihres Lebens in Christus ist.
Ein bedeutender Teil des Werkes von Palamas unc die Mehrzahl der Schriften Symeons stellen fürwahr rechtgeratene und somit auch richtungweisende Theologie dar, die, obgleich sie auf Grund ihrer überwältigenden Authentizität Sauerteig der späteren scholastizistischen und unglücklich nur die Vergangenheit konservierenden Theologie hätte werden können, aber mißverstanden und verachtet oder, wie es gewöhnlich der Fall war, einfach ignoriert und vergessen wurde, was zur Folge hatte, daß sie bis heute eine Potenz und ein wertvoller Rest blieb, aus Gründen, die letztlich nur der Herr kennt.
e) Auf der Suche nach einer neuen Theologie
Der Mißerfolg der bisherigen Theologie, alle Christen zur Einheit zu führen, ist ein dramatisches Faktum da die Sache der Einheit von zentraler Bedeutung is und das sichere Merkmal unserer Vereinigung mit Christus darstellt. Je mehr ein jeder von uns in seiner Kirche Christus näherkommt und diesem verbunden wird, desto mehr verringert sich auch der Abstand zwischen uns als Gliedern verschiedener Kirchen und wird unsere Verbundenheit enger. Da das aber gegenwärtig nicht der Fall ist, sind wir zu dem Eingeständnis verpflichtet, daß es eben unsrerseits an Schritten zur Vereinigung mit Christus fehlt, eben am Leben in Chri- stus. Jede Kirche -und vor allem die römisch-katholische und die orthodoxe- ist leicht bereit, durch ihre theologisierenden Vertreter zu erklären, daß die Verantwortung für die Spaltung unter den Christen vor allem die anderen Kirchen treffe, während sie selbst dem Herrn näherstehe. Freilich muß eine der Kirchen den Vorrang beim Herrn, den Primat der größeren Liebe zum Herrn besitzen, aber keine von ihnen allen hat bisher den anderen tätig bewiesen, daß sie den Anspruch auf diesen Vorrang zu Recht erhebt. Der Anspruch einer Kirche auf den Vorrang in Christus oder den Primat der Liebe Christi kann nur von der Tatsache bekräftigt werden, daß diese in Person ihrer Glieder die Forderung des heiligen Paulus: "Denn Christus ist für mich das Leben, und das Sterben ist Gewinn" (Phil 1,21) mehr als die anderen Kirchen verwirklicht. Diese paulinische Realität schenkt, wenn sie im Übermaß oder auch nur ausreichend verwirklicht wird, der Kirche das Leben, das -in Worte gefaßt- die wahre Theologie ergibt. Eine solche Theologie, die das Maß der eucharistischen Vereinigung mit Christus und prophetischer Ausdruck seines göttlichen Willens ist, wird von den Kirchen viel zu wenig gelebt, so daß heute auch keine von ihnen berechtigt ist, den Primat der Liebe des Herrn und den Primat der Theologie für sich in Anspruch zu nehmen.
Viel konstruktiver und einsichtiger als alles andere ist es, wenn die Glieder der Kirchen in unumgänglicher und starker Askese ihre Gebete und Anstrengungen vereinen, damit wir mit dem Herrn verbundener sind. Und für die Theologen der verschiedenen Kirchen wird es besser und heilsamer sein, statt ihre sinnlosen und vielgestaltigen Primatansprüche zu stellen, sich in dem Bemühen um die Verwirklichung der einzig wahren Theologie zu vereinen. Jene Kirche, die aus dem Ringen um eine solche Theologie als erste hervorgeht, hat allein Anspruch auf einen Primat, der dann auch, und dessen sind wir gewiß, von allen anerkannt werden wird. Wie steht es aber um diese Theologie?
Unser Finger hat den wunden Punkt schon berührt. Die alte traditionelle oder scholastizierende Theologie hat sich seit dem Mittelalter in der Hauptsache mit der Vergangenheit beschäftigt und sich sogar dann noch deren Bewahrung gewidmet, wenn sie zu Zeitfragen Stellung nahm. Die Ergebnisse sind bekannt: Pedanterie, Erstarrung, Traditionalismus, leblose Wiederholung und einige wenige Lichtblicke, die aber allgemein unbekannt und unausgenützt geblieben sind. Wir beziehen uns dabei allerdings nicht auf die protestantische Theologie, die Beachtliches geleistet hat und in neuester Zeit den sich regenden antischolastischen und antitraditionalistischen Tendenzen im Schoße der westlichen Theologie Auftrieb gegeben hat. Diese Tendenzen, die an und für sich bedeutend und heute auf allen Gebieten der theologischen Forschung weit verbreitet sind, haben allgemein nur wegweisenden Charakter, und ihr Beitrag, so nützlich er sich auch erweisen mag, hört nicht auf, nur negativ zu sein. Diese Bestrebungen stellen Befreiungsversuche von der in vielem unfruchtbaren alten Theologie dar, haben sich aber bisher zu keiner klaren und reifen Theologie entwickelt, d. h. sie sprechen nicht das Leben der Kirche in Christus als Antwort auf ein konkretes Problem aus.
Zur Bestätigung dieser schmerzlichen Feststellung diene die persönliche Agonie des Papstes, aber auch der Bischöfe, der Theologen und sogar der Gläubigen der römisch-katholischen Kirche, die von der Enzyklika "Humanae vitae" ausgelöst wurde. Wenn der Bischof von Rom, der bei weitem nicht nur formal und ehrenamtlich an der Spitze der lateinischen Kirche steht, nur mit größter Schwierigkeit und knapper Not der Erregung Herr werden kann, die seine Enzyklika gegen die Geburtenkontrolle durch Präservativmittel ausgelöst hat, so ist das in der Hauptsache darauf zurüdizuführen, daß weder der Papst selbst und seine Umgebung noch die gegen die Enzyklika opponierende Mehrheit der römisch-katholischen Kreise noch auch die mit dem Inhalt der Enzyklika Einverstandenen eine klare, reife und echte theologische Lehre der Kirche Christi vom "neuen" Menschen in Christus voraussetzen. Das Fehlen einer solchen Theologie des "neuen" Menschen hat die Erregung hervorgerufen, zu der -und das wollen wir nicht übersehen- auch wir Orthodoxen und die Protestanten, so wie die Dinge jetzt liegen, nichts anderes als unsere eigene analoge Verwirrung hinzufügen können. Wenn wir eine derartige reife und echte Theologie des "neuen" Menschen aufzuweisen hätten, wäre diese von den römisch-katholischen Brüdern sehr wohl bemerkt und mit einigen Abänderungen übernommen und vertreten worden. Aber wie soll man von dem nehmen, der selbst nichts hat? Was ist das Ergebnis? Einerseits beharrt der Papst auf seinem Standpunkt, ohne aber wesentlich überzeugen zu können, weshalb er in anderen Angelegenheiten unverständliche Nachgiebigkeit zeigt, andrerseits setzt die Mehrheit der Katholiken den Widerstand unter Berufung auf vorwiegend soziologische, psychologische und philosophische Kriterien fort, da es ihr an zureichenden theologischen Argumen- ten fehlt.
Um jedes Mißverständnis auszuschließen, möchten wir feststellen, daß wir mit der Diagnose des Fehlens einer Theologie des "neuen" Menschen nicht behaupten, daß im Evangelium, bei den Kirchenvätern und den neueren wie gegenwärtigen Theologen nicht Anschauungen, Theorien, ja ganze Werke anzutreffen sind, die sich auf den "neuen" Menschen beziehen. Wir wünschen nur zu unterstreichen, daß das Problem des Wesens des "neuen" Menschen vom Leib der Kirche nicht ausreichend studiert und niemals von einem Konzil ad hoc bewältigt wurde. Diese These wird durch Bezugnahme auf die Epoche der sieben Allgemeinen Konzilien verständlich. So stützen wir uns z. B. bei Problemen, die mit den beiden Naturen Christi zusammenhängen, der göttlichen und der menschlichen, auf die Theologie des IV. Allgemeinen Konzils von Chalzedon, das nur die richtige Theologie dieses Problems aus den letzten Jahren vor 451 n. Chr. in dogmatische Begriffe faßte. Es ist jedoch bekannt, daß schon Jahrhunderte vor der Einberufung dieses Konzils Ansichten und Meinungen über die beiden Naturen des Herrn geäußert wurden, die jedoch zu keiner klaren und reifen Theologie führten, wie sie dann erst der Heilige Geist vor und auf dem IV. Allgemeinen Konzil von 451 zustandekommen ließ. So fehlt auch bis heute, mag auch viel Richtiges und Erleuchtetes über den "neuen" Menschen geschrieben worden sein, die vollständige und klare Theologie sowie deren Bestätigung durch ein Konzil.
Unsere Bezugnahme auf den Fall der päpstlichen Enzyklika "Humanae vitae" war nicht zufällig. Dieser ist besonders bezeichnend und kann daher zum Ausgangspunkt der Suche nach der rechten Ausrichtung der Theologie von heute werden.
f) "Theologie der Überwindung"
Das erste wesentliche Merkmal der modernen Theologie, die von der Gnade der Dreifaltigkeit zur Hinführung der Kirchen zur Einheit in Christus berufen ist, ist -wie schon gesagt- die Verpflichtung, Ausdruck des Lebens in Christus zu werden. Nur auf diesem Wege kann und darf die Theologie auch das zweite für unsere Zeit notwendige Merkmal, das Merkmal der "berwindung", erlangen. Über das erste Merkmal haben wir schon oben einiges ausgesagt. Vom zweiten soll im folgenden die liede sein.
Der Begriff "Theologie der Überwindung", mag er auch konventionell sein, soll einerseits die Wendung der Theologie von der Vergangenheit zur Gegenwart, andrerseits die dynamische Überwindung der zwischen den Kirchen bestehenden Differenzen unterstreichen. Die Wendung zur Gegenwart, mag sie der Vergangenheit auch nicht entfremden und auch nicht ohne eschatologische Ausrichtung zu verwirklichen sein, wird dennoch von den Nöten der Gegenwart hervorgerufen und um der Menschen der Gegenwart willen von der Themen und die Gestalt bestimmt werden, nötig sein. Ohne sie zu akzeptieren, vermag der Theologe nicht echt zu theologisieren. Das Ergebnis seines Werkes wird dann entweder Geschichte oder gehaltloses Gerede und unnütze Mühe sein.
Die wahre Wendung der Theologie zur Gegenwart wird um so verständlicher und dringlicher, da in den letzten Jahrzehnten die Notwendigkeit der Einheit bewußter geworden ist, zu deren Erlangung und beständigem Vollzug die einzelnen Glieder der Kirchen in ihren Kirchen berufen sind. Die Einheit in Christus jedoch suchen viele in der Vergangenheit, in der Übereinstimmung der Theologen über die die eine Kirche differenzierenden und schließlich spaltenden historisch- theologischen Probleme oder in der Begegnung auf dem Boden der sieben Allgemeinen Konzilien. Eine derartige Inangriffnahme des Einheitsauftrages jedoch ist von vornherein utopistisch. Wenn wir von "Theologie der Überwindung" sprechen, dann eben wegen des Vorhandenseins dieser Tendenz.
Die heilige Sache der Einheit ist ein rein dynamisches Faktum, wie die Heiligkeit selbst, die Vereinigung mit Christus und die Vergöttlichung des Menschen. Die Glieder der Kirchen werden sich nur dynamisch näherkommen. Die ersehnte Einheit wird ein Zusammenfinden der Gläubigen bei der Lösung von Zeitproblemen allgemeiner Bedeutung sein, die unter den unserer Epoche eigenen Lebensbedingungen sich bemühen, heilig und vollkommen zu werden und in Christus ihre Rettung und die Vereinigung mit der Heiligen Dreifaltigkeit zu erlangen. Die Menschen, die seit Jahrhunderten getrennt sind, kann nur die Gegenwart und niemals die Vergangenheit vereinen. Dieselben Menschen können jedoch die Vergangenheit überwinden. Eine solche Überwindung darf natürlich nicht negativ sein, da im Raum der Religion des Kreuzes und der Auferstehung keine Negation zur Bejahung führt. Die Kirchen dürfen daher -und sie können es auch nicht- die Unterschiede zwischen ihnen nicht vergessen, die übrigens sehr bedeutsam sind.
Das Vergessen ist anderswo am Platz. Dem Vergessen haben wir die leidenschaftliche Erbitterung zu überantworten, die wir alle in gleicher Weise hervorgerufen haben und hinnehmen mußten. Aber weil in der Kirche Christi alles auf das Leben "in ihm" ankommt, das Kraft ist, folgt daraus, daß schließlich auch die Tatsache des Vergessens der Bitterkeit dynamisch überwunden wird, d. h. durch das Einwirken der göttlichen Energie auf den Menschen, der sich, ohne Anstrengungen zu scheuen, darauf vorbereitet, Gefäß der Gnade zu werden. Praktisch ausgedrückt, wird die Tatsache einer solchen Überwindung in unseren Tagen als "Dialog der Liebe" charakterisiert, als beiderseitiger Ausdruck der Liebe. Im Zusammenhang damit muß jedoch bemerkt werden, daß häufig der "Dialog" zwischen den Gliedern der Kirchen als ein in erster Linie menschliches Unterfangen betrachtet oder etwas Ähnliches angedeutet wird. Dabei handelt es sich aber um ein Verbrechen gegen die Sache der Einheit, deren Verwirklichung nicht nur die prophetische und echte Theologie vorausgehen muß, sondern auch die Liebe, die der Mensch als Geschenk Gottes in den Sakramenten der Kirche empfängt und ohne die all dies unverständlich und lächerliche Torheit bleibt.
Die vorzüglich theologischen Differenzen müssen wir positiv und dynamisch überwinden. Die positive Überwindung bedeutet entweder Aufhebung eines Gegensatzes, was nach gemeinsamer Annahme der richtigen Anschauung über das betreffende Thema oder das Schaffen eines Klimas und eines Bewußtseins erfolgen kann, demzufolge die zur Frage stehende Differenz nicht die entscheidende Bedeutung hat, die sie zu einem die Gläubigen differenzierenden und trennenden Element gemacht hat. Offizielle Aufhebung der Gegensätze ist der Kirche auf den sieben Allgemeinen Konzilien gelungen, wo die rechte Lehre durchgesetzt wurde, die in der Regel in den letzten Jahren vor jedem Konzil tiefschürfende Ausprägung und weite Verbreitung gefunden hatte. Die ersten neun Jahrhunderte bestätigen andrerseits, daß die Unterschiede nicht alle von derselben Ordnung sind und vor allem -ungeachtet ihrer Schärfe- die Einheit der Kirche nur selten erschüttert haben. Die Einheit der ersten Jahrhunderte war einerseits ein Zustand des Zusammenfindens der Gläubigen in der erlösenden Kirche oder vielmehr ihre Begegnung am gemeinsamen Kelch des Lebens Christi, andrerseits aber ein Zustand der Toleranz der verschiedenen Arten von Annäherung an den gemeinsamen Kelch und des Ausdruckes der Begegnung in diesem.
Im zwanzigsten Jahrhundert, auf der Suche nach dieser verlorenen Einheit wie nach einem anderen verlorenen Paradies, wenden wir uns heimwehtrunken der Einheit der ersten neun Jahrhunderte zu, da die christliche Erfahrung und die Energie des Heiligen Geistes keine andere Art von Einheit geoffenbart haben, daß wir von einer anderen Einheit sprechen könnten. Mit diesen Überlegungen nahmen wir keineswegs -denn das wäre Blasphemie- das Einwirken des Heiligen Geistes auf die künftige Art der Einheit voraus, die aus den Gebeten und der Einkehr unseres Suchens hervorgehen wird. Wir streben jedoch etwas an, das früher Wirklichkeit war und das wir deswegen zumindest nach den Gesetzen der formalen Logik und der Phanomenologie kennen. Wenn wir auch die Einheit durch Christus und im Heiligen Geist als Geschenk von Gott erwarten, so wird diese doch von uns errungen und ausgedrückt werden, das heißt, mit unseren konkreten Gefühlszuständen und geistigen Fähigkeiten innerhalb konkreter kultureller, philosophischer und metaphysischer Gegebenheiten. Das ist der Grund dafür, daß wir jetzt von Einheit sprechen und dabei von Vorstellungen ausgehen, die wir aus Nachrichten über das kirchliche Leben der ersten neun Jahrhunderte bilden.
Dieses Verfahren könnten wir vielleicht einerseits als Vertrauen in die bisher in der Kirche zum Ausdruck gebrachte Erfahrung des Lebens in Christus charakterisieren, andrerseits als Bereitschaft zur Annahme der neuen Einwirkungen, d. h. der neuen Offenbarungen des Heiligen Geistes. Das letztere setzt das erste voraus. Das zweite empfiehlt den Stempel der "Mehrung" des Leibes der Kirche und ist Merkmal jeder echten Theologie. Schon befinden wir uns, wie wir meinen, auf der Linie, die von den großen Vätern und Theologen der Kirche befolgt und gelebt wurde, in deren Schoß sie Theologie und "Mehrung" ihres Leibes vollbrachten. Es ist charakteristisch, daß die großen Väter und Theologen der Alten Kirche sich nicht nur bei jeder Gelegenheit ihres vollen Vertrauens in die Tradition rühmen, d. h. in die geistliche Erfahrung der ihnen vorausgegangenen Männer der Kirche, sondern auch der Entsprechung ihres Glaubens, d. h. ihrer Theologie, mit dem "rechten Glauben" der Kirche, wie ihn die "Väter" geprägt haben, d. h. ihre theologischen Vorgänger, die in der Regel Heilige waren, die von der Kirche als solche bestätigt worden sind. Gleichzeitig aber leben und formulieren sie die Mehrung des Leibes der Kirche, welche Zunahme in der Theologie erstens als Formulierung neu geoffenbarter Wahrheiten, die immer als Fortsetzung und Entwicklung in der Kette der in der Kirche festgelegten Wahrheiten zu verstehen sind, kenntlich wird, dann aber auch als Klärung und Erklärung der verschiedenen Perspektiven des ersten und allumfassenden Sakraments, des Sakraments der Kirche.
Unsere häufige Bezugnahme auf das Leben der Alten Kirche, vor allem der geeinten, ist nicht zufällig; ihr Ziel ist die Aufhellung gewisser Züge des an sich pneumatologischen Lebens in Christus, die zum Fundament und Gipfel all unserer Bemühungen als Glieder der Kirchen werden muß, wenn wir wirklich die Einheit ersehnen und in Christus um sie ringen wollen. Wenn wir aus dem Geist der Alten Kirche, vor allem der ersten neun Jahrhunderte, leben, werden wir uns auch ihre trinitarische Erfahrung zu eigen machen.
g) In Richtung einer Theanthropologie
Es ist jedoch an der Zeit, zum Thema der Theologie der Überwindung zurückzukehren, die uns vorrangig interessiert. Damit die Diskussion aber klarer und praktischer(20) wird, gehen wir auf ein altes, doch immer noch modernes Problem ein, die Frage des Primates des Bischofs von Rom, der -gleichgültig, ob positiv oder negativ- für die Glieder der Kirchen eine Gewissensfrage darstellt. Die Neuüberprüfung dieses Problems von seiten einiger Glieder der Kirche in den letzten Jahren hat gezeigt, daß die Theologen mit anderen Worten die alten Argumente ihrer Vorgänger zu diesem Thema wiederholen; wenn sie aber ein neues, und sei es ein noch so unwesentliches Element hinzufügen, so beeinflußt dieses die Einstellung und Bereitschaft derer, die anderer Meinung sind, überhaupt nicht oder kaum. Dieses Phänomen läßt sich seit Jahrhunderten beobachten, und zwar nicht nur in bezug auf das Primatsproblem, sondern auch auf fast alle übrigen die Kirchen unterscheidenden und trennenden Probleme.
Zu diesem Sachverhalt wagen wir die folgenden Gedanken auszusprechen:
Wie die Theologen der Kirchen durch Jahrhunderte keine gemeinsame Auffassung von den Unterschieden erzielten, so können wir auch sagen, daß wir in Zukunft keine Abstimmung der beiderseitigen Standpunkte erreichen werden, wenn wir diese Art ihrer Bewältigung beibehalten. Was ist also zu tun, da wir am Wunsch des Herrn, "daß alle eins seien", nicht vorbeigehen können?
Der bestehende, wie auch immer geartete alte Gegensatz kann durch eine neue Theologie überwunden werden(21), die neben ihrem Hauptziel der Lösung der vornehmlichen Gegenwartsprobleme auch die der Vergangenheit aufhellen müßte. Freilich wird das nur der Fall sein, wenn die genannte Theologie nicht den Standpunkt irgendeiner Theologengruppe repräsentiert, sondern lebendiges Fundament des Volkes der Kirchen ist. Das heißt, wir sprechen von der Theologie eines bestimmten Themas, die -vielleicht nur von wenigen oder einem einzigen vertreten- als die rechte Lehre von den theologisierenden Gliedern fürs erste (und später von den einfacheren Gläubigen) der heute getrennten Kirchen angenommen wird. Dieses Verfahren, das bis zum neunten Jahrhundert eingehalten wurde, kann heute in gewissen Punkten mit Hilfe der inzwischen erworbenen pneumatologischen Erfahrung verbessert werden. Auch die in unseren Tagen erleichterte Begegnung stellt einen zwar äußerlichen, aber positiven Faktor für den Austausch geistlicher Erfahrung und die Begründung einer gemeinsamen Theologie dar.
Die Theologen der getrennten Kirchen müssen, können und sollten demnach nicht zur Überprüfung der alten Gegensätze zusammenkommen, sondern zur Suche nach dem Willen Gottes den Problemen gegenüber, die heute das Herz der Gläubigen bedrücken. Die Verwirklichung dieser Suche unter beständigem Gebet, in aufrichtiger Demut, bei häufigem Fasten und ununterbrochener Betrachtung ist theologisches Werk, das in Christus vom Heiligen Geist vollbracht wird. Abschluß und Krönung dieses theologischen Werkes ist die knappe Darlegung der rechten Lehre zu einem konkreten Thema, die vom Allgemeinen Konzil als dogmatische Formel bestätigt wird.
Diese allgemeinen Gedanken wollen wir nun mit der laufenden kirchlichen und theologischen Wirklichkeit in Verbindung bringen. Die Kirche und die Kirchen haben heute eine schmerzvolle Krise durchzumachen. Dieses Phänomen gab es unserer Meinung nach auch früher schon, nicht nur heute. Seit der Mensch der Neuzeit einigen ungeistlichen Vorbehalten der Kirche zum Trotz beschloß, sich seinen eigenen geistigen Horizont zu schaffen, der sich wesentlich von jenem der Kirche unterschied, befindet sich diese in ständiger innerer Krise. Die nach Autonomie strebende Welt trägt der ausgebrochenen Krise gegenüber nur die Verantwortung für den Anlaß, während die Schuld für die Ursache der Leib der Kirche zur Gänze trägt. Der erste und letzte Grund für die Hauptverantwortung der Kirche an der Krise findet sich in ihrem Unvermögen zur Beantwortung der anthropologischen Probleme ihrer eigenen Glieder, die aus Enttäuschung über gewisse kirchliche Übertreibungen nach Selbstbestimmung verlangen und die kirchliche Autorität zurückweisen.
Als Theologen der Kirchen müssen wir eingestehen, daß wir keine klare, reife und soweit als möglich vollständige Theologie des neuen Menschen in Christus geschaffen haben. Was ist der "neue" Mensch? Wie wird er erkannt, wie ist er beschaffen? Das sind einige Fragen, die für die Notwendigkeit einer konkreten diesbezüglichen Theologie sprechen, wie auch die alte Kirche analog zum gegebenen Anlaß ihre Theologie von der Dreifaltigkeit, den beiden Naturen und Willen Christi und über die Ikonen entfaltet hat.
Die Lehre und Theologie vom "neuen Menschen" in Christus könnten wir als Theanthropologie bezeichnen und nicht einfach als Anthropologie, da der "neue" Mensch, von dem die Rede ist, nicht "natürlich" im geläufigen Sinne, wie der erbsündige Mensch der Christusferne, sondern durch Taufe, Firmung und heilige Eucharistie mit der Heiligen Dreifaltigkeit vereint ist. Dabei handelt es sich um eine reale Vereinigung, da sie Leben und nicht nur eine Idee ist. Daß ein Mensch mit Gott in Christus durch den Heiligen Geist vereint ist, bedeutet, daß dieser Mensch Träger der ungeschaffenen Energien des unzugänglichen und unsagbaren Wesens Gottes geworden ist. Der in Christus lebende Mensch ist als Träger der unerschaffenen göttlichen Energien nicht länger ein Sein, das ein System philosophischer Kategorien allein erforschen könnte, denn dieser Mensch, mag er auch gewöhnliches Fleisch tragen und mag in seinen Adern auch natürliches Bluf pulsieren, lebt dennoch ein anderes Leben, das die gegenwärtige Welt, deren Philosophie immanent in und für diese Welt bleibt, in ihrer Unkenntnis nur angreifen kann. Dieses von den Gläubigen in schwerem Mühen mit göttlicher Gnade erworbene Leben bedeutet eine elementare Verwandlung des Menschen in ein göttliches Sein, wobei er freilich nicht aufhört, menschliches Wesen zu sein. Als göttliches Sein kann dem Menschen nur eine Theanthropologie gerecht werden und niemals Anthropologie allein.
h) Theanthropologie und Einheit
Das Betreiben der Theanthropologie setzt als goldenen Grundstein den Gottmenschen Christus voraus, den Gott, der Mensch geworden ist, "um uns zu vergöttlichen"(22), damit wir gnadenvoll in Christus "erneuert" und als Träger der ungeschaffenen Energien Gottes mit ihm vereint leben. Die Alte Kirche hat sich zum Gottmenschen Christus und zu allen diesbezüglichen Problemen des langen und breiten geäußert, was wir allgemein mit dem Sammelbegriff Christologie zusammenfassen. Aber während im Schoß der Kirche -wie es auch zu erwarten war- die Gottmenschheit Christi betont und ausführlich dargelegt wurde(23), hat sich die Kirche noch nicht theologisch verbindlich zu dem durch Christus "neuen" Menschen geäußert. Es ist zwar bekannt, daß Glieder der alten wie der getrennten Kirchen wiederholt und häufig zum Thema des Menschen das Wort ergriffen haben und davon hervorragende Texte in der Ost- und Westkirche erhalten sind. Dennoch müssen wir eingestehen, daß die Kirche nicht ad hoc über den "neuen" Menschen theologisch reflektiert hat, wofür das Fehlen einer anerkannten diesbezüglichen Theologie-Lehrmeinung Beweis ist. Als Beispiel diene nochmals die große Verwirrung, welche kürzlich die durch ihre Reaktionen berühmte päpstliche Enzyklika "Humanae vitae" hervorgerufen hat.
Die Glieder der römisch-katholischen Kirche widersetzen sich unter Vorwänden oder offen, aber fast einmütig der von der Enzyklika vertretenen Lehre des Papstes und seiner unmittelbaren Mitarbeiter, wie man an der Fülle diesbezüglicher Publikationen leicht ablesen kann. Gleichzeitig zeichnet sich jedoch ab, daß der Widerstand nicht theologisch fundiert ist, sondern soziologisch, psychologisch oder demographisch. Aber auch der Papst hat sich nicht reicher an theologischen Argumenten erwiesen. Der Vorsteher der römisch-katholischen Kirche konnte dem Widerspruch nichts Wesentliches entgegensetzen, da die Kirche einfach noch über keine nennenswerte und schon gar nicht über eine verbindliche Theanthropologie verfügt.
Die Tatsache des päpstlichen Abenteuers ist überaus bezeichnend für die Notwendigkeit der Schaffung einer Theanthropologie im Schoß der Gesamtkirche. Die bedeutsamen und weltweiten kulturellen, philosophischen, wissenschaftlichen, politischen und anderweitigen Umwälzungen unserer Zeit stellen für uns Glieder der Kirche, besonders aber für uns Theologen, eine dramatische und ultimative Forderung dar, so daß wir unbedingt uns selbst und allen Gliedern der Kirche theologisch klarmachen und verkünden müssen, was der "neue" Mensch in Christus ist, damit jedes der Glieder in einer sich rasch wandelnden und sich von Grund auf umgestaltenden Welt die richtige und sichere Ausrichtung erhält. Die sich fortwährend wandelnde und umgestaltende Welt hat auf die Kirche zweifache Auswirkung: 1. Da die Gesamtheit ihrer Glieder dieser Welt angehört, wirkt diese Welt auf sie ein. 2. Die außerhalb der Kirche befindlichen Menschen sind für die Gläubigen das Objekt ihrer Verkündigung.
Im Unvermögen der Kirche, klar auf den Anruf der Welt zu antworten, mit anderen Worten im Fehlen einer Theanthropologie, liegt die Krise der Kirche.
In welchem Verhältnis steht jedoch diese Krise der Kirche zu der heiligen Forderung nach Einheit der Kirchen? So gewagt es auch klingen mag, scheuen wir nicht vor der Feststellung zurück, daß die Aufhebung der Krise die Ankunft der ersehnten Einheit ankündigen wird. Die Schaffung der Theanthropologie also bestimmt die Art und den Ort der Begegnung der Glieder der Kirchen. Diese Begegnung aber ist die einzige wesentliche Kraft, um die Gegensätze zwischen den Kirchen zu überwinden.
Ein reales gemeinsames Verständnis und Handeln der Glieder der Kirchen im Hinblick auf die Probleme, die mit dem "neuen" Menschen zusammenhängen, wird eine ganze Kette zweitrangiger zeitgenössischer Probleme beleuchten, aber vor allem alte Gegensätze wie die dornige Frage des Jurisdiktionsprimats des Bischofs von Rom. Wenn also einmal die Glieder der Kirche unter dem Licht der ungeschaffenen göttlichen Energien recht und zureichend Theologie des "neuen" Menschen betreiben werden, dann werden wir alle, Orthodoxe, römische Katholiken und Protestanten, erkennen, welchen Sinn und welche Bedeutung das für den "neuen" Menschen in Christus haben kann, mag er auch Bischof und vor allem römischer Vorsitzender des christlichen Liebesbundes sein. Die damit zusammenhängenden Ansprüche werden dann im Licht der Theanthropologie erhellt und betrachtet werden. Wenn sie zum gemeinsamen Besitz der jetzt getrennten Bruderkirchen und deren Überzeugung wie offizieller Lehre geworden ist, werden sich ihre Gesetze rückwirkend allem aufprägen.
Ergebnis dieses Verfahrens wird einerseits die Uberzeugung von der Existenz einer Verständigungsmöglichkeit der getrennten Brüder über alle Probleme, auf der anderen Seite Anstoß zur Verwirklichung der sakramentalen Einheit zur "Mehrung" des Leibes der Kirche sein.
Nach dem heiligen Paulus geschieht die "Zunahme des Leibes der Kirche" durch seine "physiologische" Entfaltung und Entwicklung, in deren Verlauf der Leib der Kirche -wie der menschliche Organismus, z. B. ein fremdes Herz - jedes Element zurückweist und abstößt, das sich nicht als gleichbegründet, gleichartig und wesensgleich mit dem Leib der Kirche herausstellt, deren Haupt Jesus Christus ist. Dem Leib der Kirche nicht entsprechende und fremde Elemente sind Häresien und Irrlehren, Schismen und theologische Differenzen und Streitigkeiten. Nur wenn wir die Theanthropologie an den ihr gebührenden Platz rücken, das heißt, sie zum realen Ausdruck und Zeichen der Zunahme des Leibes der Kirche machen, werden wir ihre gewaltige Bedeutung für die heilige Sache der Einheit abschätzen können. Der Leib der Kirche Christi ist einer und nur einer, aber parasitäre Fremdkörper, die mit ihm nicht organisch und wesentlich vereint sind, haben die heute am Leib der Kirche festzustellende betrübliche Disharmonie hervorgerufen. Diese Disharmonie ist so weit verbreitet, daß nur eine kräftige Selbstzunahme und Selbstentfaltung des Leibes sie zu überwindsn vermag.
Der Leib der Kirche also wird von diesen Fäulniserregern befreit werden, indem er sie abwirft und bloßlegt. Ein anderes Verfahren, eine andere Handlungsweise zur Bereinigung dieser Disharmonie, wie zum Beispiel Anstrengungen zur Entfernung der Fäulnisherde von außen, bleibt nicht nur ohne Erfolg, sondern verstärkt noch die Disharmonie und die Unterschiede und Probleme aus vielen Gründen, deren bedeutsamster das Fehlen authentischer Kriterien ist, auf deren Basis diese Elemente abgestoßen und der von ihnen befallene Teil abgetrennt werden könnte.
Man könnte sogar die gewagte Ansicht vertreten, daß sogar zuerst die Einheit der Kirchen verwirklicht und dann erst die Ausscheidung dieser trennenden Elemente erfolgen wird, nachdem der Ausscheidung der Fremdkörper die Zunahme des Leibes vorangegangen ist. Das wäre jedoch eine Schematisierung des kirchlichen Lebens, welches sich in Wirklichkeit jedem Schema entzieht, da es sich um geistliches Leben handelt. Dennoch wohnt auch diesem Schema eine gewisse Wahrheit inne. Um sich leichter mit seinem Mitmenschen verständigen zu können, führt der Mensch auch dort Unterscheidungen ein, wo diese schwer zu erkennen sind. Die Tatsache der "Mehrung" als Energie geht dem Abstoßen der fremden Elemente nur begrifflich und konventionell voraus, denn in Wirklichkeit stellen die Vorgänge in einem Leib eine Einheit dar und müssen auch so betrachtet werden.
So erfordert das Fortschreiten der Glieder der Kirchen zur Glaubenseinheit ein im wesentlichen paralleles Verfahren der Verwerfung der einen oder anderen falschen Lehre durch die Glieder der Kirche. Zusammenfassend gesagt, werden gleichzeitig mit der Zunahme des Leibes der Kirche auch dessen Zwiespalte und Mißverständnisse ausgeschaltet. Je fruchtbarer das Bemühen um eine Theanthropologie wird, desto mehr werden die alten Differenzen der Kirchen abgestumpft, bis sie völlig verschwinden oder in andere Ausdrucksweisen umgewandelt werden, so daß sie nicht mehr als trennende Unterschiede zu betrachten sind. Welche der beiden Möglichkeiten als Folge der theanthropologischen Bemühungen eintreten wird, kann nicht gesagt werden, ehe nicht eine echte Theologie vorliegt, die einerseits ihren Ausgang vom vollen Vertrauen in den Heiligen Geist nimmt, aus dem sie jederzeit Erleuchtung zur Einigung und Rettung der Gläubigen empfangen kann, und die andrerseits mit aller Treue zur Überlieferung akzeptiert, was von der "einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche" geglaubt, dogmatisch formuliert und verkündet wurde.
3. GLOSSEN ZU EINZELNEN PUNKTEN DES DEKRETS
Auf den folgenden knappen Seiten kommen einige konkrete Gedanken zum Ausdruck, die vom Ökumenismusdekret angeregt wurden. Diese Gedanken mögen als kritische Glossen aufgefaßt werden.
a) "Wiederherstellung" oder Scha ffung der Einheit?
Das Ökumenismusdekret ist mit seinen Anfangsworten "Unitatis redintegratio" bekannt. Dem Sinn des zweiten Wortes entsprechen an vielen Stellen des Textes die Ausdrücke "restaurandam"(24) und "instaurationem"(25), die zusammen mit der "redintegratio", auf deutsch mit "wiederherstellen/Wiederherstellung" übersetzt werden(26). Was die anonymen Verfasser des Dekrets damit betonen wollen, wenn sie den Begritf "redintegratio" anwenden, ist sicher ihr brennendes Verlangen nach Wiederherstellung, nach Wiedererstehen der Einheit unter den Christen, die früher bestanden hatte, jetzt aber den christlichen Kirchen fehlt.
Die Idee und der Begriff der "Wiederherstellung" jedoch setzt, so fürchten wir, eine statische Theologie voraus, die in einer lebendigen und wachsenden Kirche mit ihrer verlebendigenden göttlichen Gnade keinen Platz finden kann. Im pneumatischen Leben der Kirche haben und leben wir nichts, was von einem alten oder sonstwie vorausgegangenen Zustand übernommen worden wäre. Wenn unser kirchliches Leben, das seinem Wesen nach Realität und besonders authentische Realität ist, echt orthodox ist, dann ist die Idee jeder Wiederholung oder Anleihe ausgeschlossen. Das in Christus durch die Sakramente erfüllte Leben wird im Augenblick des Einwirkens der göttlichen Energien auf uns geschafFen und geboren und nicht durch Übernahme einer älteren Lebensform, so geistlich sie auch sein mag. Wenn die göttliche Gnade in uns nach entsprechender Vorbereitung Leben in Christus erweckt, aber manchmal ohne entsprechende Vorbereitung aus menschlicher Sicht, so bedeutet das die Schaffung von etwas Neuem, uns vorher Unbekanntem. Der Zustand des Lebens in Christus war in den vergangenen Jahrhunderten Wirklichkeit, doch da dieses in letzter Analyse ein geheimnisvolles Geschenk Gottes darstellt, welches das begriffliche Fassungsvermögen des Menschen übersteigt, nützt dieses Leben der Alten in Christus dem Glied der Kirche von heute nicht wesentlich, wenn dieses nicht selbst von Gott begnadet ist, die Göttlichkeit dieser Erfahrung anzuerkennen, von der er in den kirchlichen Büchern liest.
Für jene, denen Gottes Gnade fehlt, berührt alles über die natürlichen Grenzen Hinausgehende den Menschen und sein Wesen nicht. Folglich können der rechte Glauben der Väter und weiter die gesamte heilige Überlieferung, die wie der Glaube Wirken Gottes im Menschen ist, nur dann dynamische Gegenwart sein, wenn das Glied der Kirche von heute Träger der Gnade des rechten Glaubens ist. Mit anderen Worten werden der rechte Glaube und die Realität der heiligen Überlieferung letztlich nicht aus irgendeiner menschlichen Schatzkammer oder aus Väterschriften genommen, sondern sie stammen direkt vom Heiligen Geist. Die Übereinstimmung zwischen dem rechten Glauben der uns vorausgegangenen Christen, wie er in den diesbezüglichen Vätertexten vorliegt, und dem rechten Glauben des Gliedes der Kirche von heute stellt aus menschlicher Sicht einen starken, wenn nicht den einzigen Beweis dafür dar, daß auch die heute für recht befundene Lehre in der Tat göttliches Geschenk und Einwirkung auf den Gläubigen unserer Zeit ist. Die rechte Lehre in der Tradition erlangt nur für jene Bedeutung, die schon über gottgewirkte Empfängnisbereitschaft und Aufnahmefähigkeit für die geoffenbarten Wahrheiten verfügen. Die echten Glieder der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche leben oder sollen zumindest die Vergangenheit in einem Guß mit der Gegenwart leben. Der Gläubige betrachtet als Gegenwart, was der außenstehende Historiker als Vergangenheit erforscht, weil der Gläubige nichts tut, als zu leben, da sich nach dem Evangelisten Johannes die Liebe Gottes zu uns darin gezeigt hat, daß er seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben(27)
Leben aber ist ein rein dynamischer Sachverhalt. Der Beitrag der Vergangenheit zum Faktum des religiösen Lebens, d. h. zum Leben in Christus, ist eher morphologisch. Das Leben entlehnt häufig Form und Gewand von der Vergangenheit, um sich in bestimmter Zeit und Umgebung auszuprägen, mögen diese äußerlichen Elemente auch mehr als Anleitungskomponenten denn zur getreuen Nachahmung und Wiederholung herangezogen werden.
Obiges gilt auch für die heilige Sache der Einheit, da diese Einheit letztlich ein Faktum ist, das den brennend nach ihr verlangenden Gläubigen als Geschenk Gottes gewährt wird. Als göttliches Geschenk ist die Einheit aber Auszeichnung für die um sie ringenden Kirchen, wie sie auch Äußerung und Ausdruck ihres regen Lebens in Christus ist, das in der Brust eines jeden Gliedes der einen, heiligen katholischen und apostolischen Kirche zu pulsieren hat.
Da sich die Dinge aber so verhalten, hätten wir von dem an Bischöfen und Theologen reichen Zweiten Vatikanischen Konzil erwartet, daß es von der Schaffung der Einheit der Kirchen oder von deren Erweckung in den Herzen der Gläubigen von heute und nicht von der Wiederherstellung der Einheit gesprochen hätte. Freilich ist dem Konzil die dynamische theologische Betrachtungsweise der Einheit nicht verborgen geblieben, doch hat es diese nur zweitrangig berücksichtigt, obwohl es die Voraussetzung alles theologischen Denkens und kirchlichen Handelns wäre.
b) "Renovatio/reformatio" oder "Zunahme des Leibes der Kirche"?
Im Text des Ökumenismusdekrets werden die Begriffe "renovatio" und "reformatio"(28) synonym(29) gebraucht, da und dort auch das Verb "instauro (instaurentur)"(30), um die Notwendigkeit zum Ausdruck zu bringen, daß die Kirche fortwährender Erneuerung, der Annahme neuer Formen bedarf, die ihrem Auftrag gemäßer sind, und folglich stetiger Selbstverbesserung. Das erweist sich als notwendig, da die Kirche zwar ein Organ göttlicher Stiftung, aber menschlicher Ausdrudssformen unter bestimmten historischen Gegebenheiten(31) ist, die dem Wandel der Zeit unterworfen sind und sich so von Epoche zu Epoche verändern.
Die "dauernde Reform"(32) der Kirche wird als erster Grundbegriff und als wichtigste Voraussetzung des Ökumenismus angeführt; damit ist die ihr von der Mehrheit der Konzilsväter zuerkannte Bedeutung zum Ausdruck gebracht. Die römisch-katholische Kirche hat in ihrer langen Geschichte Erfahrung mit dieser Art von renovatio und reformatio gesammelt. Ihr Reformgeist(33) ist für sie Waffe und Ausweg. Wir fragen uns jedoch mit großer Vorsicht, ob es in der Tat das Faktum der reformatio ist, das dem Leib Christi, das heißt der Kirche entspricht. Und wir hätten uns diese Frage nicht zu stellen, wenn nicht das Ökumenismusdekret diese renovatio/reformatio als erste Bedingung für die "Wiederherstellung" der Einheit betrachtete.
Die Einheit ist Anspruch der Kirche, die in erster Linie geistiger und noch dazu von Gott begründeter Leib ist. Folglich müssen unsere Gedanken und Aussagen über den Leib der Kirche diesem unbedingt angemessen sein. Für einen Leib ist sein Wachstum grundlegend, und jede mögliche Veränderung muß unter diesem Gesichtspunkt untersucht werden. Der geistige Leib "schreitet in gottgewirktem Wachstum voran"(34), das heißt, er durchschreitet oder besser, er lebt den Vorgang der Zunahme, die vom Dreifaltigen Gott gewährt (der in der Person Christi Haupt des Leibes ist) und mit freier Zustimmung der Menschen vollbracht wird, die Glieder des Leibes sind. Folglich nimmt der Leib der Kirche selbst zu.
Das bewundernswerte paulinische Bild der Kirche als Leib im Zustande des Wachstums helfen dem orthodoxen theologischen Denken vortrefflich bei der Einsicht und Beschreibung dieses Sachverhaltes, soweit es nur möglich ist. Als Leib also, und noch dazu als geistiger, das heißt authentischer - da er das Leben Christi lebt, "der das Haupt ist"(35) -, läßt er "alles zu Ihm hinwachsen"(36), ohne daß irgendein äußerer oder künstlicher Eingriff notwendig oder auch nur möglich wäre, unter dem man eine reformatio oder renovatio der Kirche an ihrem Leib verstehen könnte. Die renovatio setzt ein gewisses dialektisches Verhältnis zwischen dem Leib der Kirche, der die renovatio erfährt, und jenem voraus, der die renovatio ins Werk setzt. Ein derartiges Verhältnis ist aber inexistent, da Christus, der Gott ist, zusammen mit den an ihn Glaubenden in Gegenwart und Vergangenheit den realen und lebendigen Leib der Kirche bildet. Wenn nun aber dieses Verhältnis inexistent ist, dann ist auch die renovatio schlechthin unmöglich.
Der Schluß aus diesen Gedanken ist überaus schmerzlich. Und das daher, weil man die Richtigkeit und Verbindlichkeit einer jeden renovatio/reformatio aberkennen muß, die am Leib der Kirche vorgenommen wurde oder vollzogen werden soll. Die Verwirklichung der reformatio setzt ein statisches und juridisches Kirchenverständnis voraus, obwohl auf den ersten Blick das Gegenteil der Fall zu sein scheint, d. h. daß die reformatio eine dynamische Sicht der Kirche voraussetzt. Das bedeutet natürlich nicht, daß alle Reformen im Schoß der römisch-katholischen Kirche, besonders seit dem Mittelalter bis auf den heutigen Tag, mit mathematischer Schärfe jeder Authentizität entbehrt hätten. Wir glauben, daß viele davon Ausdruck des Wachstums des Leibes der Kirche waren; wenn aber ein Allgemeines Konzil nicht zur Feststellung und gleichzeitigen Bestätigung des Wachstums der Kirche, sondern zur Vornahme von Reformen zusammentritt, begeht es einen fundamentalen Fehler, der zumindest eben dieses Wachstum gefährdet.
Die Tatsache der Einberufung eines Konzils muß sowohl die Bewußtmachung des im Laufe der Zeit eingetretenen authentischen Wachstums des Leibes der Kirche wie die offizielle und formelle Ablehnung -denn die wesensmäßige und reale ist schon vorausgegangen- der angefaulten Teile dieses Leibes und das ebenfalls formelle Abstoßen jedes fremden und charakteristisch zeitbedingten Elementes zum Ziel haben, das nicht zum lebendigen und authentischen Organismus des Leibes der Kirche gehört.
Zu einer gewissen Erklärung der obigen Ansichten über das Wachstum des Leibes der Kirche mögen die folgenden zwei Beispiele dienen: a) Der menschliche Organismus, der auch im vollen Lebensalter wächst und reift, kennt einen inneren Prozeßvorgang, der sowohl in der Reifung -vom Säugling zum Kind, vom Kind zur Pubertät, von der Pubertät zur vollen Reife usw.- wie in der Ausscheidung toter Zellen und der Absonderung vieler Substanzen durch die Körperporen seinen Ausdruck findet, die unnütz und daher auch für den Organismus schädlich sind. Und das ist der Fall, obwohl die heute abgesonderten Elemente vielleicht früher -aber eben nur eine Zeitlang- dem Körper dienlich waren oder in diesen in Verbindung mit anderen, bekömmlichen Speisen eingedrungen waren. Dasselbe spielt sich im geheiligten Leib der Kirche ab. b) Der stämmige Baum, die Fichte z. B., hat in jungen Jahren einen Stamm mit glatter Oberfläche, mit der Zeit jedoch, unter günstigen Umständen herangewachsen, weist der Stamm eine unregelmäßige Oberfläche auf, der die deutliche und äußerst dynamische Tendenz innewohnt, inzwischen entstandene Auswüchse und Ecken abzuwerfen, die einmal dem Stamm unentbehrliche Rinde waren, nun aber nach dessen Wachstum abgeworfen werden, da der Baum in einer anderen Phase lebt, in der er neue Rinde zu bilden bestrebt ist und darin nur seinem neuen inneren Zustand entspricht. Nach diesem Verfahren vollzieht sich das Wachstum und die Entfaltung des Baumes, der bei alledem wesentlich, aber auch morphologisch derselbe bleibt. Dieselbe Entwidilung ist auch am Leibe der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche zu beobachten.
Der genannte Vorgang erlangt gewaltige Bedeutung für die heilige Sache der Einheit der Kirchen, besonders aber die in hervorragendem Maße charakteristische Tatsache, daß eine tiefe Kausalbeziehung zwischen der Vermehrung des Organismus oder des Baumes und der Abstoßung oder dem Abwurf der unnützen oder schädlichen Elemente besteht. Und wenn wir -wie es auch tatsächlich ist- nicht behaupten können, daß das Wachstum dem Abwerfen vorausgeht, genügt es festzustellen, daß das Wachstum das ursprüngliche Faktum ist, das äußerlich nur durch den Vorgang des Abwerfens und der Bildung neuer Hüllen ausgedrückt und erkennbar wird. Keine reformatio ist möglich, wenn kein Wachstum vorhanden ist. Es gibt kein Wachstum ohne reformatio. Wir können sagen, daß es sich um gleichzeitige Tatsachen handelt, vermögen aber nicht zu behaupten, daß das Wachstum mit der reformatio/renovatio anhebt. Das wäre ein großer Fehler.
Das muß unserer Ansicht nach jede zwischenkirchliche Bestrebung mit dem Ziel der Beseitigung der der Einheit im Weg stehenden Gegensätze vor Augen haben. Damit wir uns also jemals in der freudigen Lage befinden werden, uns als Überwinder der Gegensätze und zu einer Herde vereint zu sehen, müssen wir in unermüdlichem Ringen und mit unermüdlicher Hoffnung auf das Wachstum des Leibes der Kirche bedacht sein. Wenn der Leib der Kirche nicht zunimmt, wird dieser niemals positiv die eingedrungenen Mißverständnisse/ Differenzen überwinden können.
Daher also erscheint es uns eine gefährliche Utopie, wenn die Kirche die renovatio/reformatio zu einem ihrer Ziele macht. Die Sache der reformatio wird im Ökumenismusdekret als positives Werk dargestellt, während sie in Wirklichkeit negativ ist und sich als Folgeerscheinung des Wachstums einstellt, das allein eine positive Bejahung des Lebens darstellt.
c) Abschluß
Unter ähnlichen Voraussetzungen wie den oben dargelegten könnte man noch zu vielen Punkten des Ökumenismusdekretes Stellung nehmen. Ich möchte daher meine Ausführungen mit Hervorhebung des wertvollsten Gesichtspunktes, der in das Dekret Aufnahme gefunden hat, beschließen:
Im Artikel II lesen wir: "Beim Vergleich der Lehren soll man nicht vergessen, daß es eine Rangordnung oder 'Hierarchie der Wahrheiten' innerhalb der katholischen Lehre gibt, je nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des christlichen Glaubens". Diese Initiative stellt einen positiven Riesenschritt der römisch-katholischen Kirche zur Schaffung eines Raumes des theologischen Erfahrungsaustausches dar(37). Wir wollen aber hoffen, daß diese Empfehlung ein Zeichen des Wachstums des Leibes der römisch- katholischen Kirche und nicht nur einfache Kompromißbereitschaft den anderen Kirchen gegenüber ist, was ihre Bedeutung auf ein Minimum reduzieren würde.
Von römisch-katholischer Seite ist diese "hierarchische" Sicht der Wahrheiten dieser Kirche vielleicht der für unsere Zeit beste Beitrag zur Sache der Einheit. Nur diese Aussage des Ökumenismusdekrets gibt praktisch und grundsätzlich dem Dialog eine Chance, obwohl das Dekret den großen Fehler begeht, die Bischöfe zur Wach- und Schließgesellschaft der Wahrheiten der Kirche zu machen, die Theologen "unter ihren Gliedern jedoch zu freien Diskutanten. Zweimal wird in dem Dekret mit Nachdruck hervorgehoben, daß die Theologen "unter der Aufsicht"(38) der bischöflichen Inhaber des Hirtenamtes zu wirken hätten, so als wären Theologie und Priestertum streng zu trennen. Freilich kennt unsere Zeit diesen Zwiespalt, er stellt jedoch eine Verfallserscheinung dar und muß um jeden Preis überwunden werden, wenn wir in Wahrheit um das Wachstum des Leibes der Kirche ringen. Die Hirten (Priester! Bischöfe) werden entweder selbst als Theologen Stellung nehmen oder nur die Polizeiaufsicht über den Erfahrungsaustausch der Theologen führen, die sie aber, wenn sie nicht selbst Theologen sind, aus Unverständnis mißverstehen müssen. Sind die Theologen als Glieder der Kirche mit den Bischöfen so verbunden, wie das der heilige Ignatius von Antiochien fordert, verlangen sie nach dem Segen und der Heiligung des Bischofs, den sie als Zeugen ihres Mühens um den Ausdruck des Lebens in Christus anrufen. Der Bischof kann nicht Schatzmeister der Wahrheiten des Glaubens sein, da diese Wahrheiten und unsere Überlieferung nur real gegenwärtig sind und nur als Gegenwart Bedeutung haben. Der Bischof wird diese Wahrheiten und die Überlieferung entweder in Präsenz leben, und dann ist er selbst Theologe oder wird Zeuge der Theologie, oder er lebt diese nicht und ist ein leerer Bischof ohne Profil und Format.
ANMERKUNGEN
1. Wir werden unter den Begriff "Einheit" immer auch zugleich den Begriff "Wiedervereinigung" subsumieren.
2. Dennoch wird die apostolische Sukzession der "Orientalischen Kirchen" anerkannt: "Da nun diese Kirchen trotz ihrer Trennung wahre Sakramente besitzen, vor allem aber in der Kraft der apostolischen Sukzession das Priestertum und die Eucharistie . . . " (Art. 15). Ungeachtet der Anerkennung der apostolischen Sukzession in der Orthodoxen Kirche haben die Konzilsväter des II. Vatikanums jedoch die direkte Aussage vermieden, daß einige der orthodoxen Gliedkirchen von den Aposteln begründet wurden, und begnügten sich mit der Erklärung, daß sich unter den "Patriarchalen Kirchen" "nicht wenige ihres apostolischen Ursprungs rühmen" (Art. 14). Als gäbe es z. B. Zweifel an der apostolischen Gründung der Kirche von Jerusalem!
3. Überall im Dekret, wo von der Orthodoxen Kirche die Rede ist.
4. Art. 14 und andernorts.
5. Art. 15.
6. So vertrat z. B. Kardinal Liénard den Standpunkt, daß das Ökumenismusdekret "mit seiner juristischen Sprache nur ein Hindernis auf dem Wege zur Wiedervereinigung sein könne" (Das Zweite Vatikanische Konzil, Lexikon für Theologie und Kirche II, Freiburg 1967, S. 16).
7. Mt 23,24.
8. Jo 12,31; 16,11.
9. Diese These verkennt keineswegs die Existenz nicht differenzierender, sondern einigender Theologie im Westen wie im Osten, wo nach dem 10. Jh. besonders Symeon der Neue Theologe und der hl. Gregorios Palamas die Theologie richtig pflegten, deren Lehre jedoch als "Mystizismus" charakterisiert wurde, um sich so der Verpflichtung ihrer Akzeptierung und Fortführung zu entziehen und diese den Mönchen allein zu überlassen.
10. Über die Bedeutung der Begriffe "Überbrückung" und "Überwindung" der Differenzen siehe auf S. 149-153 und S. 161-165 dieses Aufsatzes.
11. Siehe in: "Ekklesia" 45 (1968) 509.
12. A. a. O.
13. Wir verstehen darunter selbstverständlich nur diejenigen, die auf den Konzilien die wahre Lehre vortrugen und verteidigten.
14. Ga12,20.
15. Wir verwenden unterschiedslos die Begriffe "Kirche" und "Konfession", obwohl letzterer enger ist als der erste.
16. Mt 27,64.
17. Die orthodoxe Hymnographie läßt die Gottesmutter sprechen: "Unvermählt soll ich einen Sohn gebären? Empfängnis ohne Samen, wer sah es je? Doch, wo Gott will, weicht die Ordnung der Natur" (Kathisma der Laudes von Weihnachten).
l8. Mt 16,18.
19. 1 Kor 5,6.
20. Die Theologie ist par excellence eine praktische Wissenschaft, da sie auf die Lösung praktischer und nicht spekulativer oder metaphysischer Probleme des Menschen abzielt. Ihr Ziel ist die Hinführung des Menschen zum Leben in Christus, indem sie dessen geistliche Erfahrung beschreibt und verkündet.
21. Um jedem Mißverstandnis zuvorzukommen, vermerken wir, daß die Theologie insofern neu sein wird, wie es z. B. die Theologie des III. und IV. Allgemeinen Konzils in Vergleich mit jener des I. war. Die Frage, vann die "neue" Theologie neu oder etwas anderes ist, wird uns weiter unten noch beschäftigen.
22. Athanasius, Or. de Incarnatione Verbi, PG 25, 192 D. 23 "Wurde" soll keine Statik der Christologie aussagen, die niemals aufgehört hat, "zuzunehmen" bis in unsere Zeit, sondern meint, daß das Fundament des rechten Glaubens für die klare und richtige Ausrichtung der Kirche gelegt wurde.
24. Art. I, 6, 16.
25. Art. 14.
26. Siehe die offizielle Übersetzung in: "Das Zweite Vatikanische Konzil", Lexikon für Theologie und Kirche II, Herder, 1967, 40-122.
27. 1 Jo 4,9.
28. Siehe das Memorandum von Prof. J. Feiner zu "De oecumenismo", in: "Das Zweite Vatikanische Konzil", Lexikon für Theologie und Kirche II, Herder 1967, S. 71, Anm. 23 mit Literaturverzeichnis.
29. Art. 4, 6 und an anderen Stellen. Vgl. "Einführung" in: "De oecumenismo" von W. Becker, a. a. O., S. 31-32.
30. Art. 6.
31. A. a. O.
32. A. a. O.
33. A. a. O.
34. Kol 2,19; vgl. auch Eph 4,15-16.
35. Eph 4,15.
36. A. a. O.
37. Wir ziehen die Formulierung "theologischer Erfahrungsaustausch" dem heute im Übermaß von allen gebrauchten Begriff "Dialog" vor, da diese Formulierung die Heilstatsache des Lebens in Christo bezeichnet, während der Dialogbegriff nur das Gesprächsverhältnis von zwei Menschen zum Ausdruck bringt und in keiner Beziehung zur religiösen Wirklichkeit stehen muß. Es ist der Mühe wert und besonders notwendig, daß die Glieder der Kirchen ihre diesbezügliche Erfahrung austauschen, da die zwischenkirchlichen Beziehungen vielleicht bereits in die Sackgasse geraten sind.
38. Art. 4, 9.
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