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Theo Kobusch

Metaphysic als Lebensform bei Gregor von Nyssa

From: "Gregory of Nyssa: Homilies on the Beatitude".
Edited by Hubertus R. Dröbner and Albert Viciano. BRILL, Leiden-Boston-Köln 2000.


Ι. Kritik der Theoretischen Vernunft

In der 6. Oratio der Schrift De beatitudinibus stellt Gregor von Nyssa zwei Formen der Gotteserkenntnis einander gegenüber, die sich auszuschliesen scheinen:
Die eine ist die Erkenntnis einer alles übersteigenden göttlichen Natur, die dem Menschen im Erdendasein nicht möglich ist, die andere die Vereinigung mit Gott durch ein reines Leben (1). Da die Erkenntnis eines Wesens oder einer Natur eine rein theoretische Erkenntnis darstellt, können wir im ersten Falle von einer theoretischen Gotteserkenntnis sprechen. Dementsprechend ist, da die Katharsis schon immer als ein Element praktischer Philosophie begriffen wurde, die Vereinigung mit Gott eine Form der praktischen Gotteserkenntnis. Im Sinne des theoretischen Erkennens ist, wie Gregor gerade auch in der 6. Oratio ausführt, Gott unerkennbar. Das bedeutet nicht, daß die theoretische Vernunft von Gott nichts erkennen könnte. Vielmehr besagt Gregors These von der Unerkennbarkeit Gottes, die er in allen wichtigen Werken entfaltet, daß das göttliche Wesen, wie es an sich ist, sich allen Zugriffen der theoretischen Vernunft und damit dem "begreifenden Denken" des Menschen schlechterdings entzieht (2). Was Gregor damit implizit ablehnt, ist die aristotelische Vorstellung einer methodisch vorgehenden, alles erfassenden theoretischen Vernunft, die auch das "Suprarationale" im Sinne eines der sprachbegabten Vernunft Jenseitigen wie einen vorgegebenen Gegenstand zu ergründen und in seinem Wesen zu bestimmen sucht. Gregor verwendet ιn der 6. Oratio den stoischen Begriff der Epinoia oder auch den aus der aristotelischen Logik genommenen Begriff der Ephodos, um die menschliche Vernunft als diskursive, sprachlich bedingte, irgendwo, z.B. in einer Wesensbestimmung, zum Stillstand kommende geistige Bewegung zu charakterisieren, die nicht geeignet ist, mit ihren στοχαστικαίς υπονοίαις die göttliche Natur zu erfassen (3). Gregors Kritik an dieser aristotelischstoischen Vernunftkonzeption mit ihren theologischen Ansprüchen gehört in den Zusammenhang einer umfassenden Auseinandersetzung mit der aristotelischen Metaphysik, deren Gegenstand das verborgene Wesen der Dinge und das Wesen der höchsten unsinnlichen Substanz ist. Gregor hat nämlich den Sinn und die Möglichkeit einer sicheren, rein theoretischen Wesensbestimmung als solche - nicht nur die der göttlichen Natur - bezweifelt und in Frage gestellt. Die Patriarchen und Propheten haben sich in diesem Sinne überhaupt nicht um eine Wesensbestimmung der vοn ihnen thematisch behandelten Gegenstände (wie Himmel, Erde, Meer, Zeit, Ewigkeit) gekümmert und in diesem Sinne alle metaphysischen Bestimmungen bewußt vernachlässigt (4). Das erklärte Ziel der aristotelischen Metaphysik, das zugrundeliegende Wesen einer erscheinenden Sache theoretisch zu erkennen, nachdem sie durch die abstrahierende Vernunft in ihre Bestandteile aufgelöst und ihrer (Qualitäten "beraubt" wurde, muß nach Gregor hinterfragt werden. Mit Bezug auf das Wesen eines sinnfälligen Körpers zum Beispiel muß man deswegen fragen, was denn als seine Wesensbestimmung noch übrigbleiben soll, wenn die Farbe, Gestalt, Widerständigkeit, Schwere, Gröse, Ortsbestimmung, Bewegung usw. abstrahiert sind. Die metaphysische Erkenntnis der Dinge ist aber nicht nur nicht möglich, sie ist insbesondere auch unnütz und überflussig. Ιn Wirklichkeit erkennt der Mensch die Dinge in seiner Lebenswelt, z.B. die Elemente, insofern sie ihm in seinem Leben in irgendeiner Weise nützlich oder lebensdienlich sind. "Ihre Wesensbestimmung aber haben wir weder gelernt, noch haben wir einen Schaden davon, das wir sie nicht kennen". Es war die theoretische Neugier (πολυπραγμοσύνη) der im aristotelischen Sinne verstandenen metaphysischen Vernunft, die alles ihrem Forschen nach einem verborgenen Wesen der Dinge unterwarf. Aber eine solche metaphysische Erkenntnis hat keinen Nutzen für das Leben. Eben deshalb spielt sie nach Gregor in der Ηl. Schrift, der Grundlage der christlichen Lebensphilosophie, keine Rolle (5). Da aber der neugierigen theoretischen Vernunft nicht nur das Wesen der endlichen Dinge, sondern auch ihr eigenes Wesen, d.h. das Wesen der Seele, verschlossen bleibt - wie sollte sie dann das Wesen dessen, was über ihr ist, theoretisch erkennen können (6)! Gregor spricht in diesem Sinne öfter vοn dem απολυπραγμόνητον, das der neugierigen Vernunft der aristotelischen Philosophie schlechterdings entzogen ist (7). Αn dieser Stelle wird ein Grundzug der christlichen Philosophie sichtbar, der bis ins hohe Mittelalter in einer langen Tradition erhalten blieb: Die Philosophie des Christentums ist eine Philosophie des Lebens. Schon Origenes hatte in diesem Sinne den Platonikern entgegengehalten, sie beschränkten die Wahrheitsfrage auf den Bereich des dialektischen Wissens, ohne sie auch im Hinblick auf das ganze Leben zu stellen. Die Platoniker haben so der Wahrheit den Ort eines lebensfernen theoretischen Wissens zugewiesen und die Wahrheit vom Leben getrennt. Das Spezifikum der christlichen Philosophie besteht nach Origenes deswegen darin, nach der Wahrheit des Lebens zu fragen. Die Wahrheit betrifft nach dieser christlichen Vorstellung nicht mehr nur die Äußerungen einer theoretischen, abstrakten Vernunft, sondern das Ganze des Lebens (8). Im Sinne dieser von Origenes vorgezeichneten Lebensphilosophie hat Gregor die schlechthinnige Gültigkeit der theoretischen Erkenntnis im Interesse des Lebens in Frage gestellt. Denn die aus der theoretischen Neugier erwachsenen abstrakten Fragen nach dem Wesen des Feuers und dgl. sind ganz überflüssig und unnütz. Daher muß diese Neugier und der auf ihr beruhende Forschergeist sich auf das "für das Leben Nützliche" beschränken (9). Um aber das herauszufinden, bedarf es der Selbsterkenntnis. Deswegen muß alles Wissen - das ist geradezu ein Charakteristikum der Vorstellung von der Philosophie als einer Lebensform - an das Wissen um sich selbst, d.h. an die Selbsterkenntnis zurückgebunden werden. Durch die neugierige Vernunft aber, die alle äußeren Dinge zu erforschen sucht, ist die Seele nicht in der Lage, sich selbst zu erforschen (10).

Indem Gregor so die maßlosen Ansprüche der neugierigen, methodisch vorgehenden, auf Wesenserkenntnis zielenden theoretischen Vernunft zurückweist, will er jedoch nicht die Möglichkeit jeglichen zielgerichteten theoretischen Forschens in Frage stellen. Denn wie es in der 6. Oratio von De beatitudinibus ausdrücklich heist, gibt es "viele Weisen" der Gotteserkenntnis. Eine davon ist, mit Blick auf die Schöpfung, Gott nicht in seinem Wesen, sondern als schöpferische Weisheit und so allgemein den seiner Natur nach Unsichtbaren und Unerkennbaren zu erkennen allein insofern er in seinen Wirkungen (ενέργιαι) sichtbar oder erkennbar geworden ist (11). Die Erkenntnis solcher Wirkungen ist nach Gregor die Funktion, aber auch die Grenze der theoretischen Neugier.





ANMERKUNGEN

1. Gregorius Nyssenus, De beatιtudinibus 6, ed. J.F. Callahan: GNO VII/ΙΙ, Leiden New York-Köln 1992, 145,21: ... διπλής oύσης της διανoίας τη τoυ ιδείν τον θεόν επαγγελία, μιας μεν τoυ γνώναι την τoυ παντός υπερκειμένην φύσιν, ετέρας δε τoυ ανακραθήναι προς αυτόν διά της κατά την ζωήν καθαρότητoς, το μεν πρότερoν της κατανoήσεως είδoς αμήχανoν είναι...το δε δεύτερoν υπισχνείται τη ανθρωπίνη φύσει...

2. Vgl. z.B. De hominis opificio 11 (PG 44, 156 Α): Ουκoύν επειδή εν των περί την θείαν φύσιν θεωρoυμένων εστί το ακατάληπτoν της oυσίας ... Ιn Canticum Canticonun 1, ed. Η. Langerbeck (= GNO VI), Leiden 1960, 37,13: ... ο τι πoτε κατ' oυσίαν εστίν, υπέρ παν εστιν όνoμά τε και νόημα ... Ebd. 3 (86,13): ... η θεία φύσις πάσης υπέρκειται καταπληκτικής διανοίας, Contra Eunomium II 67, ed. W. Jaeger (= GNO I), Leiden (2) 1960. 245,19: ουκ έστιν εν ανθρωπίνη φύσει δύναμις εις ακριβή κατανόησιν ουσίας θεού...

3. Beat. 6 (GNO VII/ΙΙ 140,15-141,l). Vgl. Cant. 6 (GNO VI 183,7): ... και πάσαν καταληπτικήν έφοδον καταλιπούσα ... Offenkundig werden vοn Gregor die stoische καταληπτική φαντασία und die (eher) aristotelische καταληπτική έφοδος synonym gebraucht: vgl. Cant. 12 (GNO VI 357,3-18), ebenso die καταληπτική επίνοια: Ιn Inscriptiones Psalmorum II 5, ed. J. McDonough (= GNO V), Leiden 1962, 83,1,156,3. Vgl. auch Ιn sanctum Pascha, ed. Ε. Gebhardt (= GNO ΙΧ), Leiden 1967, 255,24: ουκ έστιν επινοίαις ανθρωπικαίς θεού πολυπραγμονείν ενεργείας ... Zur Geschichte und Problematik der Epinoia im Denken der Antike vgl. Th. Kobusch, Sein und Sprache. Historische Grundlegung einer Ontologie der Sprache, Leiden 1987.

4. C.E II 103 (GNO Ι 256.24 ff).

5. Zur Kritik an der aristotelischen Konzeption der Wesenserkenntnis vgl. bes. CE II 115-118 (GNO Ι 259-260), Zitat: 260,12 f. Ζu dem, was der neugierigen Vernunft verschlossen ist, vgl. auch Gregorius Nyssenus, De vita Moysis II, ed. Η. Μusurillο (= GNO VII/Ι), Leiden 1964, 66,20: ... όσα δε κέκρυπται των νοημάτων, οίον το ζητείν τις η ουσία του θεού, τι προ της κτίσεως ην, τι το έξω των φαινομένων, τις η ανάγκη των γενομένων, και όσα τοιαύτα υπό των περιέργων ανερευνάται ...

6. CE ΙΙ 117 (GNO Ι 260,6): ο δ' εαυτόν αγνοών πως αν τι των υπέρ εαυτόν επιγνοίη; Ιn Ecclesiasten 7, ed. Ρ. Αlexander (= GNO V), Leiden 1962, 416,l: ούπω γαρ έγνω ... εαυτήν η κτίσις, ουδέ κατέλαβεν τις ψυχής η ουσία, τις σώματος η φύσις, πόθεν τα όντα ... Vgl. auch Cant. 11 (GNO VI 337,16): ... ούπω δε κατείληφεν η ζητητική του ανθρώπου διάνοια, τι κατ' ουσίαν ο ουρανός εστιν ή ο ήλιος ή άλλο τι των φαινομένων ... ότι ει ταύτα καταλαβείν ου χωρεί, πώς την υπερκειμένην τούτων καταλήψεται φύσιν; Inscr. Ps. ΙΙ 14 (GNO V 155,25): αυτό μεν γαρ το θείον ο τί ποτε τη φύσει εστίν, ανέφικτον μένει τη ανθρωπίνη φύσει και άληπτον ... Auch De mortuis, ed. G. Ηeil (= GNO ΙΧ), Leiden 1967, 44-45 enthält eine Kritik an der vom Leben abgeschnittenen nutzlosen rein theoretischen Erkenntnis.

7. Vgl. V. Mos. II (GNO VII/Ι 97,18): ... απολυπραγμόνητον είναι χρη των υπέρ κατάληψιν όντων την κατανόησιν ... Oratio catechetica, ed. Ε. Μühlenberg (= GNO ΙΙΙ/IV), Leiden-New York-Köln 1996, 40,4. De anima et resurrectione (PG 46, 124 Β): ... απολυπραγμόνητον τον λόγον τον περί του, πώς έκαστόν εστιν ... CE ΙΙ 105 (GNO Ι 257,21 f.): ... αυτήν δε την ουσίαν ως ούτε διανοία τινί χωρητήν ούτε λόγω φραστήν απολυπραγμόνητον είασε, σιωπή τιμάσθαι...

8. Vgl. Th. Kobusch, Das Christentum als die wahre Religion. Zum Verhältnis zwischen Platonismus und Christentum bei Origenes: Origeniana Quarta (Referate des 4. Internationalen Origenes-Kongresses), hrsg. v. L.Lies, Innsbruck-Wien 1987, 442-446.

9. CE II 118 (GNO Ι 260).

10. De mortuis (GNO ΙΧ 41,2-5): ... τον αυτόν τρόπον και η ψυχή πάντα τα άλλα διερευνωμένη και τα έξω εαυτής πολυπραγμονούσα και ανιχνεύουσα εαυτήν ιδείν αδυνάτως έχει.

11. Beat.6 (GNO VII/ΙΙ 141,l-27). Zum Unterschied zwischen den ενέργειαι und dem Wesen Gottes vgl. auch De professione Christiana, ed. W. Jaeger (= GNO VIII/Ι), Leiden 1963, 138,14 ff; CE Ι 206 (GNO Ι 86,22 ff); Ι 426 (GNO Ι 150,25 ff).

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