Dimitrios Kisoudis
Eikon
From Politische Theologie in der griechisch-orthodoxen Kirche, ed. diagonal-Verlag, Marburg 2007.
Intro
Im Widmungsaufsatz Die geschichtliche Struktur des heutigen Welt-Gegensatzes von Ost und West für die Festschrift zu Ernst Jüngers sechzigstem Geburtstag schlägt Carl Schmitt vor, «das völlig zerredete Wort Ideologie» (OW 526) durch Ikonografie zu ersetzen:(83) «Jede konkrete Verortung ist schon eine Art von Sichtbarkeit. Überall gibt es deshalb Ikone und Ikonographie und überall infolgedessen auch die Möglichkeit eines Ikonoklasmus» (ebd. 527). Diese Ausweitung des Begriffs birgt zwar die Gefahr der Anwendbarkeit auf beliebige Moden; in ihr findet sich aber auch die Erkenntnis, dass politische Haltungen und Stellungen sich nicht nur begrifflich, sondern auch bildlich äußern können.(84)
Die politische Tragweite der Ikone als Gegenstandes zeigt sich am geschichtlichen Ikonoklasmus, dessen Überwindung den orthodoxen Ländern auch heute noch im festlichen Sonntag der Orthodoxie gegenwärtig ist. Wenn die politische Eigenheit der Ikone fassbar werden soll, ist eine begriffsgeschichtliche Untersuchung hilfreicher als eine kunstgeschichtliche: der Begriff der Ikone reicht weiter in die Vergangenheit als die Kunstform, die im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. entstanden ist.(85) Er nährt sich aus Quellen, aus denen ideologisch wohl zu schöpfen ist, nicht aber ikonologisch. Wenn die Kunstform der Ikone und mit ihr der Begriff im Mittelpunkt des Streits steht, sind es eben diese Quellen, denen eine entstehende Ideologie der Ikone, und sei es unwissentlich, entspringt.(86) Dabei ist diese Ideologie schon als Politische Theologie zu betrachten, da sie unterhalb der Theologie mit entgegengesetzten Theologien Kämpfe austrägt. Im Bilderstreit wird die Politische Theologie der Bilderfeinde zunächst abgedrängt und dann aus der Orthodoxie ausgeschieden: der Orthodoxie ist fortan ein platonischer Bildbegriff zu eigen, der einen Unterschied zwischen Bild und Abgebildetem beinhaltet, aber dennoch die Abbildbarkeit bejaht;(87) die ikonoklastische Behauptung einer Selbigkeit von Bild und Abbild ist ideologisch abgefertigt.
Der Streit zwischen dem Historiker Hans-Georg Beck und dem Theologen Leonid Ouspensky «um die Bedeutung der Ikone in der Orthodoxie»(88) bewegte sich erstaunlicherweise immer noch in den Figuren des Bilderstreites. Ouspensky betrachtete die Ikone als «Ausdruck der Orthodoxie als solcher»(89) und stieß bei Beck auf Widerstand, der umgehend darauf aufmerksam machte, dass die alte Kirche lange ohne Ikonen ausgekommen sei(90) und im Bilderstreit «zum erstenmal eine formelle Theologie der Ikone [...] entwickelt wird.»(91) Von historischen Streitpunkten abgesehen, gebührt Beck das gar nicht zu überschätzende Verdienst, den Vorwurf der Ikonoklasten in die Sprache der modernen politischen Wahrnehmungstheorie übersetzt zu haben. Wir zitieren sein Fazit in voller Länge:
Nimmt man diese Theologie [der Ikonophilen] als das, was sie wirklich zu sein scheint: als Apologie für ein religiöses Brauchtum, an dem das Volk und an dem sie selbst mit allen Fasern hängen, als théologie du coeur viel eher denn als rationale Theologie, dann lautet die Bilanz eben, daß die Funktion der Ikone mit dem Begriff Repräsentant so umfassend man ihn nehmen kann, nicht erschöpft, ja im Wesen nicht getroffen werden kann. Der Begriff Präsenz scheint mir viel angemessener, der Begriff der wie immer zu definierenden Gegenwärtigkeit des Abgebildeten im Bild und zwar hier wirklich einer Gegenwärtigkeit, die nicht nur einen Gedankennexus darstellt, sondern Wirklichkeit ist.(92)
Beck spielt die Seite der popularen Religion, die an der Orthodoxen Kirche gerne hervorgehoben wird, gegen die rationale Theologie aus. Ausgegangen von der Überlegung, «daß es gerade die Theologie der Bilderfreunde ist, die heute als die Theologie der Orthodoxie bezeichnet und gefeiert wird»,(93) leugnet Beck die Wesentlichkeit der Ikone für die orthodoxe Liturgie,(94) um die «θεωρία Theorie im vollen Sinne ihres Bedeutungsgehaltes»(95) — also die «Schau als Ausgangspunkt und Zielpunkt für jegliche Erhebung des Geistes»(96) - zum Wesensmerkmal der Orthodoxie zu erheben. Im Laufe der Geschichte habe der Gegenstand der Schau gewechselt: «Objekt ist zeitweise die Ikone, ist umfassender die ontologische εικών und in vollendeter Weise dieses [ungeschaffene göttliche] Licht.» Indem Beck im letzten Satz seiner Abhandlung die Ikone zweimal nennt, widerlegt er seine Widerlegung: die künstlerische Ikone, die ontologische Ikone der Gottebenbildlichkeit und das ungeschaffene Licht des Hesychasmus lassen sich nur dann unter der Kategorie der Schau vereinen, wenn die ersten klar voneinander unterscheidbar sind. Dieser Eindruck entsteht besonders dann, wenn die griechische Schreibweise gegen die deutsche absticht.
Tatsächlich aber sind die künstlerische und die ontologische Ikone in der Politischen Theologie der Ikone zu einem Begriff verschmolzen. Nimmt man den Begriff Eikon in seiner signifikanten Identität ernst, wird man auf eine Geschichte des Begriffs zurückverwiesen, um zu seinem ideellen Gehalt zu gelangen. Als Grundlage für diese Unternehmung dient uns zunächst die hervorragende Dissertation Eikon im Neuen Testament von Friedrich-Wilhelm Eltester, der sich seinerseits auf die Vorarbeit Eikon. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zum Platonismus von Hans Willms stützen konnte.(97) Da sich Eltester mit seiner theologisch-anthropologischen Begriffsuntersuchung in einer Zeit bewegt, in der es den Gegenstand der Ikone noch nicht gibt, wird einer perspektivierten Nachsicht seiner Ergebnisse der Begriffswandel bei den Kirchenvätern und im Bilderstreit anzufügen sein.
Notizen
83. Er folgt hierbei dem Ikonografie-Begriff von Jean Gottmann.
84. Laut PT 31 »haben alle politischen Begriffe, Vorstellungen und Worte einen polemischen Sinn; sie haben eine konkrete Gegensätzlichkeit im Auge, sind an eine konkrete Situation gebunden, deren letzte Konsequenz eine [...] Freund-Feindgruppierung ist, und werden zu leeren und gespenstischen Abstraktionen, wenn diese Situation entfällt.«
85. Im 3. Jahrhundert werden erstmals Aposteln auf Porträts dargestellt, im 4. Jahrhundert folgen Darstellungen Christi. Vgl. Tania Velmans, »Frühe Ikonen«, in: dies., Ikonen — Ursprung und Bedeutung, Stuttgart 2002, S. 9-20, hier: S. 10. Velmans, ebd., S. 12, betrachtet die Porträts von Säulenheiligen für Pilger als erste richtige Ikonen. Zur hier fühlbaren hermeneutischen Spannung zwischen Ding und Begriff s. Ralf Konersmann, «Wörter und Sachen. Zur Deutungsarbeit der Historischen Semantik», in: Müller, Begriffsgeschichte, S. 21-32.
86. Wegen des negativen Beiklangs, den das Wort Ideologie besonders in Griechenland hat, sei angemerkt: Ideologie heißt hier ein auf seine gedankliche Folgerichtigkeit untersuchter, als Ganzes sich aufdrängender Zusammenhang von Ideen. Gegenüber der von Giannaras, Απανθρωπία, S. 158 ff, getroffenen Unterscheidung von abstrakter, individueller Ideologie und Ontologie verstehen wir unter Ideologie (unabhängig von ihrer Begriffsgeschichte und der historischen Bewegung der Ideologen) etwas Konkretes, Überindividuelles - gleichsam den vom Rituellen getrennten gedanklichen Zusammenhang einer Kultur oder Religion.
87. Vgl. Constantine Skouteris, Never as gods: Icons and their veneration», in: Sobornost 6 (1984), S. 6-18, hier: S. 15.
88. Ludwig Mödl, Die Spiritualität des Schauens. Bilderverehrung und Adoration in der christlichen Frömmigkeitspraxis, Regensburg 1995, S. 5.
89. Zit. nach Hans-Georg Beck, Von der Fragwürdigkeit der Ikone, München 1975, S. 5.
90. Ebd., S. 8.
91. Ebd., S. 11.
92. Ebd., S. 24 f. S. a. ders., Geschichte der orthodoxen Kirche im byzantinischen Reich, Göttingen 1980, S. 89
93. Ders., Fragwürdigkeit, S. 13.
94. Ebd., S. 33.
95. Ebd., S. 44.
96. Ebd., S. 41.
97. Friedrich-Wilhelm Eltester, Eikon im Neuen Testament, Berlin 1958; Hans Willms, Eikon. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zum Platonismus, Münster 1935.
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