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Panagiotis Boumis

Die authentische Überlieferung der Kirche

Das Kriterium der Orthodoxie



4. Erweiterung und Durchforschung

Natürlich bedarf es hier noch einer notwendigen Erläuterung: Wenn wir sagen, daß diese Texte, diese Kriterien, diese »Zeugnisse« <5> authentisch und unfehlbar sind, und daß sie die wahre Überlieferung und die áêñßâåéá innerhalb der Kirche darstellen, so heißt das nicht, daß alle anderen falsch seien. Noch viel weniger bedeutet es, daß alle Werke und Schriften der Kirchenväter, der Bischöfe, der Asketen, der Theologen und der einfachen Christen wertlos sind. Sie können Fehler enthalten, aber sie sind als Ganzes nicht falsch. Darüber hinaus können sie auch unfehlbar sein, nur besitzen wir nicht die Gewißheit, daß sie unfehlbar sind. Denn wir haben dafür nicht die Garantie einer Ökumenischen Synode, die das authentische Sprachorgan der Kirche ist.

Würden wir wiederum behaupten, daß alle Meinungen und Beschlüsse der Kirchenväter unfehlbar sind, gerieten wir in die Gefahr, uns dem römischen Katholizismus zu nähern und würden, unwissentlich, ohne es zu wollen, Argumente für die Unfehlbarkeit des Papstes beisteuern. Mit Recht könnte dann konsequenterweise ein Katholik bemerken: Warum sollen wir die Unfehlbarkeit der Meinungen einzelner Kirchenväter akzeptieren und nicht auch die Unfehlbarkeit des Papstes von Rom?

Sie sind also fehlbar, bzw. solche Schriften von Vertretern der Kirche oder von Heiligen können Interpretationen der Çl. Schrift sein, Analysen von Glaubensdogmen, Interpretationen der Kanones bzw. Anleitungen zu ihrer Anwendung, wie auch Erfahrungen und Erlebnisse des kirchlichen Lebens in Christus. Auch sie stellen Überlieferungen dar, aber es ist nicht die Überlieferung, die authentische, der Kirche, weil sie nicht die Bestätigung der ganzen Kirche besitzen.

Derartige Überlieferungen können auch die Meinungen unserer Priester sein, oder Gebote und Erlasse unserer Bischöfe oder unserer Çl. Synode. Sind sie auch verpflichtend? Oder kann man sie einfach übergehen? Natürlich sind sie bindend, sofern sie nicht zur Çl. Schrift in Widerspruch stehen, oder zu den Entscheidungen der Ökumenischen Synoden und somit der authentischen Kirchentradition, wenigstens so lange, bis wir das Gegenteil bestimmt wissen. Paulus verkündet: »Gehorcht euren Lehrern und folgt ihnen; denn sie wachen über eure Seelen, als die, die da Rechenschaft dafür geben sollen.«

Wenn wir aber genau wissen, daß diese Meinungen oder Gebote im Widerspruch zur Überlieferung der Kirche stehen, so sind wir verpflichtet, dies auf angebrachte Weise und mit dem nötigen Respekt unseren Priestern und geistigen Führern zu sagen, sie also darauf hinzuweisen, daß sie fehlgehen, daß sie der orthodoxen Überlieferung widersprechen, und daß wir solchen menschlichen Anweisungen und Geboten nicht gehorchen und folgen können. Das Generalbeispiel dafür gaben uns die Apostel, indem sie sagten: »Ìan muß Gott mehr gehorchen als den Menschen« (Apg 5,29).

Es gibt aber einen speziellen Fall, in dem wir verpflichtet sind, ihnen zu folgen oder zumindest sie zu tolerieren und auch nicht zu kritisieren, obwohl die Entscheidungen der zuständigen Kirchenorgane nicht in Übereinstimmung mit der kirchlichen Überlieferung, d.h. der »Akribeia« stehen. Dieser Fall ist dann gegeben, wenn das zuständige kirchliche Organ von der kirchlichen Überlieferung, von der Akribeia in nicht-dogmatischen Fragen zugunsten der Rettung eines Gliedes oder eines Teils der Kirche oder der menschlichen Gesellschaft abweicht. Dieser Fall liegt vor bei der Anwendung der kirchlichen ïéêïíïìßá, der Nachsicht und Milde. Wenn also ein Mitglied oder ein Teil der Kirche an seinem Glauben, seiner Seele oder seinem Leib Schaden erleiden würde oder eine Sünde bitter bereut, verlangt die Kirche nicht immer die Einhaltung der Akribeia in der Einhaltung der Gebote und ihrer Kanones, sondern sie erweist sich menschenliebend und milde.

Es gibt jedoch auch Fragen, über die es keine offizielle Stellungnahme der Kirche gibt und zu denen auch die geistigen Führer der Kirche nicht speziell Stellung genommen haben. Dazu ist folgendes zu bemerken: Erstens ist es nicht nötig, daß wir zanken und streiten. Es genügt, darüber zu diskutieren und mit Gebeten und in Demut den Weg zu bereiten, damit einige Glieder der Kirche von Gott erleuchtet werden, so daß die Kirche selbst daraufhin auch zu diesen Fragen eine authentische Entscheidung treffen kann. Anläßlich eines solchen Falls können wir ebenfalls ermessen, wie wertvoll das übrige kirchliche Schrifttum ist, die Meinungen der Väter, die Interpretation der Theologen, die Erfahrungen und die Erlebnisse der Asketen und aller Christen. Denn in ihnen kann die Antwort zu einem Problem enthalten oder verborgen sein, der es kann durch sie eine Frage, die die Kirche beschäftigt, ihre Lösung finden.

Dazu ist freilich Geduld notwendig: »Én eurer Geduld werdet ihr eure Seelen gewinnen« (Lk 21,19), sagt der Herr. Wir brauchen nicht hin und hergerissen werden von verschiedenen persönlichen Meinungen kirchlicher Vertreter, die einander oftmals widersprechen. Ebenso ist es nicht nötig, uns darüber orgen zu machen und ins Schwanken zu geraten; denn wir müssen wissen, daß dort, wï kein Gesetz ist, auch kein Gesetzesbruch, keine Übertretung und eine Sünde sein können. Sagt doch der Apostel Paulus: »Aber wï kein Gesetz ist, da achtet mán der Sünde nicht« (Röm 5,13), und: »Aber die Sünde erkannte ich nicht, außer durchs Gesetz ... denn ohne das Gesetz war die Sünde tot«Röm 7, 7-8). Én den Fragen, für die es kein Gesetz gibt, steht es uns frei, nach der Stimme unseres Gewissens (siehe Röm 2, 14-15) bzw. nach den Ratschlägen zweier oder dreier gewissenhafter Christen zu handeln. Vgl. Mt 18,20: »Denn wï zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.« Vgl. auch 1 Kor 6,1 : »Wisset ihr nicht, daß die Heiligen die Welt richten werden?«




NOTES

1.- Verfasser ist Professor an der Theologischen Fakultät der Universität. Ziel seines Beitrags ist es, das orthodoxe Verständnis der kirchlichen Paradosis zu vermitteln und einige Konsequenzen daraus für den ökumenischen Dialog aufzuzeigen. Anm. der Red.

2.- »Jenseits der organischen Rangfolge und obersten Verwaltungsstelle der Orthodoxen Kirche, welche die Ökumenische Synode ist, hat das wahre kirchliche Gewissen die letzte Entscheidungsgewalt über deren ökumenische Autorität, ohne über dem Rang der Ökumenischen Synode zu stehen« (Á. Alivisatos, Das Gewissen der Kirche, in: Wiss.Jahrbuch der Theol.Fak. der Univ. von Athen, 9 [1953-1954] 58-59). «Der ökumenische Charakter der Synode besteht nicht in der Teilnahme aller Bischöfe der christlichen Gemeinschaft, sondern in der Übereinstimmung der anwesenden, der vertretenen mit den abwesenden Bischöfen und den verschiedenen Gliedern der Kirche, wie auch in der nachträglichen Annahme ihrer Lehren von den übrigen Bischöfen und der ganzen Kirche, die als wahr befunden wurden" (Joh. Karmiris, Orthodoxe Ekklesiologie, Dogmatik, Teil V, Athen 1973, S.674).

3.- Siehe Êan.1 der 4., Êan.2 der 6., und Êan.1 der 7.Ökum.Synode. Mehr dazu: P.Boumis, Autorität und Kraft der hl.Kanones, Athen 1989<4>, S.12 f.

4.- Das griechische Wïrt für Regel »κανών" bedeutet ursprünglich: Stab; Lineal, mit dem wir eine gerade Linie ziehen, oder umgekehrt die Geradheit einer Linie überprüfen. Im übertragenen Sinn bezeichnet das Wort auch Bestimmung oder Gesetz, allgemein alles, was als Vorbild oder Leitfaden zur richtigen Ausführung einer Handlung dient, oder als Kriterium zur Kontrolle ihrer Richtigkeit.

5.- Vgl.Ps. 118, 14. 138. 144. Siehe auch Êan.1 der 7.Ökum.Synode.

6.- Natürlich hat das Wort »einfach« hier nicht die Bedeutung einer Mißbilligung des Konservativen. Konservativ sind, wie wir gesehen haben, jene, die alle in der Kirche vorhandenen. Überlieferungen bewahren wollen. Aber diese Tendenz muß mit Vorsicht betrachtet werden, weil sie zwei widersprüchliche Elemente in sich birgt: ein positives und ein gefährliches. Positiv ist, daß sie alle schriftlichen und mündlichen Überlieferungen bewahren will, in denen zum gegebenen Zeitpunkt die Kirche die Lösung eines Problems finden kann, oder zumindest den Ánstïß zu einer solchen Lösung. Sie schließt aber auch die Gefahr in sich, den Menschen zu überfordern; denn sie will das ganze Gewicht dieser Überlieferungen tragen. So geschieht es manchmal, daß diese Überlieferungen in Widerspruch zueinander geraten, daß sie Christen erschüttern und Ánstïß erregen. Verlassen wir also den Anspruch, daß diese Überlieferungen unbedingt und ausnahmslos von allen Christen befolgt werden müssen; denn damit würden »schwere und untragbare Gewichte auf die Schultern der Menschen« (vgl. Mt 23, 4) gelegt.

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