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Marios P. Begzos

Nikolaj Berdjajew und die Byzantinische Philosophie

Zur metaphysischen Tragweite der patristischen Theologie

Theologie 64, Athen Jan-Feb 1993.


II. Gregor von Nyssa bei N. Berdjajew.

Von den drei kirchlichen Persönlichkeiten der östlichen Überlieferung, welche Berdjajew beeindruckt haben, ist Gregor von Nyssa der liebste für unseren russischen Philosophen, wie wir schon erwähnt haben (9). Aus seiner eigenen Erklärung geht die Hochsätzung des Gregors von Nyssa sehr eindeutig hervor: «Die Auffassung vom Christentum als einer Religion des Geistes verdankt viel den östlichen Kirchenlehrern Origenes und Gregors von Nyssa, diesem vor allem. Seine Ideen vom Menschen stehen höher als alle anderen, die im Laufe der Geschichte des christlichen Denkens aus Licht gekommen sind, und seine Geistigkeit nimmt die christliche Mystik vorweg» [l0].

Berdjajew studierte nicht nur die Schriften von Gregor von Nyssa, sondern folgte auch der Sekundärliteratur. Das kann man in seinen Anmerkungen prüfen, in denen Berdjajew auf die Arbeiten von Jean Daniélou und Hans Urs von Balthasar verweist. Das bezeugt ein ernstgenommenes und tiefgehendes Studium der griechischen Patristik mit philosophisch geschultem Augen, wie es bei Berdjajew der Fall ist. Grundanliegen bleibt immer und ständig bei ihm das Gottmenschentum, die Theoandrie, welche Gregor von Nyssa begründet. Mit Berdjajews Worten: «Von allen Kirchenlehrern war Gregor von Nyssa vielleicht der einzige, der die Freiheit und die Würde des Menschen als des Abbildes Gottes verteidigt hat. Seine Anthropologie gehört zu dem Besten, was das christliche Denken über den Menschen hervorgebracht hat» (11).

Die Theoandrie Berdjajews verankert sich nicht nur in der Anthropologie sondern auch in der Theologie, speziell in der Christologie. Die Bearbeitung einer christologischen Anthropologie tut Not. Berdjajew erklärt die Sache folgenderweise: «In meinem vor langen Jahren geschriebenen Buch «Der Sinn des Schöpfungsaktes» habe ich gesagt, dass dem christologischen Dogma eine neue Antropologie entsprechen muss: die Christologie des Menschen. Aber diese Anthropologie wird sich erst in der Zukunft voll entfalten können. Eine wahre christliche Anthropologie hat noch niemals existiert. Unter den Kirchenvätern ist ihr der heilige Gregor von Nyssa am nächsten gekommen. Mehr Philosoph als alle Kirchenlehrer, suchte er die Würde des Menschen zu heben. Aber er fand wenig Anklang» (12).

Aus all diesen obenerwähnten Einsichten Berdjajews geht die enge Beziehung des gegenwärtigen russischen Philosophen mit Gregor von Nyssa hervor. Er ist in bestimmter Hinsicht ein Vorläufer einer christologischen Anthropologie, die noch nicht in christlichen Kreisen vorhanden ist. Kernstück solcher Anthropologie ist die Verbindung des Göttlichen mit dem Menschlichen im Gottmenschentum, in der Theoandrie. Weder das Göttliche noch das Menschliche, sondern beides, d.h. das Gottmenschliche, das Theoandrische spielt eine Rolle dabei. «Das Menschliche darf weder mit dem Humanismus noch mit dem Humanitarismus verwechselt werden, es ist das, was im Menschen zugleich göttlich und menschlich ist. Das christologische Dogma ist ein symbolischer Ausdruck für diese Wahrheit von der Vereinigung des Göttlichen mit dem Menschlichen» (13).

Trotz aller Ähnlichkeiten und Annäherungen bleibt Berdjajew kritisch gegenüber der bisherigen Anthropologie sowohl der philosophischen wie auch der theologischen. Seine Unzufriedenheit drückt er eindeutig aus: «Wir besitzen noch keine wirkliche religiöse und metaphysische Anthropologie. Uns kann weder die Anthropologie der Kirchenväter noch die der Scholastik oder des Humanismus befriedigen» (14). Er weist auf Gregor von Nyssa hin, nicht im Sinne einer christlichen Philosophie, sondern in der Richtung einer religionsphilosophischen Erhellung anthropologischer Anfragen. Sein Bezug auf die Patristik dient keiner christlichen Apologetik, sondern bleibt fundamentalontologisch frei von geschichtlichen oder weltanschaulichen Bindungen. Berdjajew spart nicht mit Kritik an den Kirchenvätern. Deswegen ist er imstande den Vorwurf des Neuplatonismus auf Gregor von Nyssa (15) zu wagen. Berdjajew meint, dass viele östliche Väter vom Platonismus beeinflusst seien und in manchen ihrer Ansichten vom rein biblischen Geist weit entfernt seien.

Ob eine solche Behauptung stimmt und in wieweit man sie gelten lassen kann, bleibt ausser Betracht in dieser Untersuchung. Was uns dabei wichtiger scheint, ist der kritische Einsatz Berdjajews auch gegenüber solcher Persönlichkeiten der patristischen Tradition, welche er bewundert.

Als Philosoph nimmt er Abstand sowohl von theistischen wie auch von atheistischen oder sogar agnostizistischen bzw. deistischen Vorurteilen. Kraft seiner Vernunft urteilt er über jedes Einzelthema. In dieser Hinsicht ist er sehr hilfreich für eine philosophische Würdigung der patristischen Theologie.


Versucht man eine Bilanz zum Thema Philosophie und Theologie bei Berdjajew zu ziehen, dann muss man zwei Gesichtspunkte besonders hervorheben:

l. Die patristische Theologie hat bestimmte philosophische Voraussetzungen, die aus der altgriechischen Metaphysik stammen. Ohne Philosophie ist die Theologie undenkbar, wie letztere auch ohne die Kirche überhaupt unmöglich ist. Die Kirche als Ereignis und Erfahrung macht die christliche Theologie erst möglich. Die Philosophie aber macht die Theologie denkbar, denn es handelt sich um die vernünftige, denkarische Bearbeitung des christilichen Glaubens. Die griechische Patristik ist ein klares Beispiel dafür, dass die Theologie eine gewisse philosophische Tragweite hat, wie es N. Berdjajew zum Ausdruck gebracht hat.

2. Die patristische Theologie hat aber auch klare philosophische Konsequenzen für uns heutige Menschen (16). N. Berdjajew hat es schon eindeutig aufgezeigt, dass die Anthropologie in der patristischen Ära ihren entscheidenden Ausgangspunkt nimmt, wie es im Fall eines Gregors von Nyssa darstellt. Letzten Endes bedarf die Philosophie der Theologie in dem selben Masse wie die Theologie die Philosophie.

Die Metaphysik steht am Anfang und am Ende der Theologie. Wo die Theologie endet, da fängt man mit der Philosophie an. Und wo die Philosophie aufhört, da wird die Theologie erwartet.

Die byzantinische Philosophie im allgemeinen und Nikolaj Berdjajew insbesondere liefern Hinweise zu den obenerwähnten Einsichten zum Thema Philosophie und Theologie. Die weitere Bearbeitung dieses Sachverhaltes bleibt bestehen als eine der dringlichsten Aufgaben heutigen Denkens und nicht nur der Fachphilosophen.




NOTES

9. N. Berdjajew, Selbsterkenntnis, 177.

10. N. Berdjajew, Existentielle Dialektik, 180-181.

11. N. Berdjajew, Existentielle Dialektik, 109.

12. N. Berdjajew, Existentielle Dialektik 21- 22.

13. N. Berdjajew, Existentielle Dialektik, 108.

14. N. Berdjajew, Existentielle Dialektik,106. Ein Versuch zur Beschreibung einer byzantinisch - patristischen Anthropologie wird in meiner früheren Arbeit unternommen: M .Μπέγζου, Ελευθερία ή Θρησκεία; Οι απαρχές της εκκοσμίκευσης στη φιλοσοφία της θρησκείας του δυτικού Μεσαίωνα, Αθήνα, Γρηγόρης 1991, σ 229. ( = Religion oder Freiheit? Die Anfänge der Säkularisierung in der mittelalterlichen Religionsphilosophie, Athen, Grigoris - Verlag 1991) bes. S. 147-150.

15. N. Berdjajew, Geist und Wirklichkeit Lüneburg, Heliand-Verlag 1949, 28-29. Zum Thema der (neu)platonischen Einflüsse auf die ostkirchliche Patristik s. G.F1orovsky aaO, Bd. III, S. 23-45, 129-130, E.v.Ivanka, aaO, 389-391, K.Oehler, aa0, 272-286, G. Podskalsky, aaO, 64-87, 107-124.

16. Zur religionsphilosophischen Tragweite der griechischen Patristik siehe Eυ. Θεοδώρου, Κριτική Εισαγωγή εις το ζήτημα των σχέσεων Θρησκείας και Γνώσεως Αθήναι 1956, σ. 112 (=Kritische Einführung zur Frage der Beziehungen zwischen Religion und Erkenntnis, Athen 1956).

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