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Marios P. Begzos

Nikolaj Berdjajew und die Byzantinische Philosophie

Zur metaphysischen Tragweite der patristischen Theologie

Theologie 64, Athen Jan-Feb 1993.


I. Athanasius der Grosse bei N. Berdjajew

Das Grundanliegen der metaphysischen Bemühungen von Nikolaj Berdjajew heisst die existentielle Dialektik des Menschlichen mit dem Göttlichen (3). Die Beziehung zwischen Mensch und Gott oder zwischen Immanent und Transzedenz bleibt eine Grundfrage für Berdjajew. «Das Thema der Theoandrie ist das Grundthema des Christentums» (4).

Theos (Θεός) und Andras (άνδρας), Gott und Mensch, ist das fundamentale Begriffspaar bei Berdjajew: «Man sollte die philosophische und die theologische Spekulation nicht mit Gott und nicht mit dem Menschen beginnen - denn diese beiden Prinzipien lassen die Zerissenheit unόberwunden- sondern mit dem Gottmenschen. Das Urphδnomen des religiφsen Lebens ist die Begegnung und das geistige Aufeinanderwirken von Gott und Mensch, die Bewegung von Gott auf den Menschen zu und vom Menschen auf Gott zu» (5). Sollte man die Philosophie Berdjajews auf einen einzigen Grund-begriff reduzieren, dann lässt sich dieser mit «Gottmenschen» benennen. Die Theoandrie, das Gottmenschentum bleibt das Herzstück von Berdjajews Weltanschauung. Und gerade um diesen Punkt seiner Metaphysik kreisen fast alle Kategorien seines Denkens wie z.B. Person, Eschatologie, Dialektik usw.

Mit diesem Kriterium der Theoandrie beurteilt Berdjajew die patristischen Theologen. Er benutzt die Texte der Kirchenväter unter dem Blickpunkt seiner philosophischen Interessen und würdigt sie im Lichte seiner eigenen metaphysischen Denkweise. Entspricht ein Stück der patristischen Literatur dem Prinzip der Theoandrie, wird es von Berdjajew leidenschaftlich und mit Begeisterung aufgenommen. Widerspricht ein Kirchenvater der Dialektik von Gott und Menschen, dann wird er von Berdjajew scharf kritisiert oder einfach vernachlässigt. Man muss dieses Kriterium immer vor Augen haben, um Berdjajews Stellungnahme zur patristischen Theologie verstehen zu können. Das erklärt auch, warum sich Berdjajew nur für zwei oder drei Vertreter der griechischen Überlieferung interessierte, wobei er andere Kirchenväter der späteren byzantinischen Literatur mit philosophischerer Denkweise, wie z.B. Photius oder Gregor von Palamas, ausser Betracht lässt. Die anthropologische Fragestellung mit Schwerpunkt auf das Gottmenschentum (Theoandrie) ist die Richtschnur in Berdjajews Beziehung zur byzantinischen Philosophie.

Seltsamerweise ist ein freier Geist wie Nikolaj Berdjajew mit dem Begriff Dogma einverstanden. Vernunft und Dogma stehen nicht im Widerspruch, wenn es sich um eine besondere Auffassung von dogmatischen Lehrmeinungen handelt, wie es im Osten nach Berdjajews Verständnis geschieht. Die Erfahrung wird vom kirchlichen Dogma geformt und zum Ausdruck gebracht. Das Dogma dient als Zusammenfassung der kirchlichen Erfahrung. Es ist nicht das Gegenteil vom mystischen Erlebnis, sondern seine konsequente Äusserung. Das kirchliche Dogma vermittelt verschiedene persönliche Erfahrungen einzelner Mitglieder der Kirche. Dem Dogma und der Erfahrung ist das Sein selbst gemeinsam, die ontologische Wirklichkeit. Die Erfahrung des Einzelnen ist die Voraussetzung des Seins. Das Dogma ist der Ausdruck dieser Erfahrung.

In diesem Zusammenhang kommt Berdjajew zu eine sehr positive Würdigung des Streites zwischen Athanasius und Anus im 4. Jahrhundert. Es handelt sich hier nicht um eine abstrakte theologische Frage, sondern um eine konkrete lebensbezogene Situation, die nur dogmatisch-theologisch formuliert ist; ihr Kern aber sprengt die Grenze kognitiver Diskussionen und spricht den Menschen an. Mit den Worten Berdjajews: «Der heilige Athanasius der Grosse kämpfte nicht um eine Lehre gegen Arius, sondern ums Leben und um den rechten Weg, um die unverfälschten Begegnungen in der geistigen Welt» (6).

Worin aber besteht dieser Weg? Welche Tragweite bekommt der Streit des Athanasius gegen den Arius für uns heutige Menschen im 20. Jh. nach Berdjajews Meinung? Es geht eigentlich um das Grundthema der Philosophie Berdjajews, nämlich die Theoandrie, die existentielle Dialektik von Gott und Mensch. Athanasius hat es eindrucksvoll formuliert: «Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch vergöttlicht werde»'' (7). In der patristischen Theologie fand Berdjajew die schönste Formulierung seiner metaphysischen Überzeugung. Athanasius könnte ein Lehrer Berdjajews sein oder er könnte sein gegenwärtiger philosophischer Partner werden.

Neben dem Grundthema des Gottmenschentums, das Berdjajew sehr stark interessiert, meldet sich noch ein bedeutungsvoller Sachverhalt bei ihm, der den Athanasius mit dem russischen Philosophen verbindet: es ist die Theodizeefrage. Was ist das Böse? Hat das Böse einen eigenen Gehalt, besteht es ontologisch oder ist es nur eine Randerscheinung ohne eigene Existenz? Wir können hier in eine detaillierte Diskussion um den Sinn solcher Fragestellungen kaum eingehen. Wir stellen nur die Frage und folgen den Denkrichtungen beider Denker, des 4. und des 20. Jahrhunderts, nämlich Athanasius und N. Berdjajews. Ihre gemeinsame Meinung lässt sich so darstellen: Das Böse ist das Nichtsein, es besitzt keine eigene Existenz, lebt nur am Rande des Seins. «Das Böse ist eine Welt von Phantasmen. Wunderbar hat das der heilige Athanasius der Grosse zum Ausdruck gebracht» (8). In dieser Hinsicht auch wird die ethisch - anthropologische Bedeutung der patristischen Theologie am Beispiel von Athanasius angedeutet.




NOTES

3. N .Berdjajew, Existentielle Dialektik des Göttlichen und des Menschlichen, München, Back-Verlag 1951, 21-47. Zur Berdjajews Religionsphilosophie s.S.Panou , Der Gottesbegriff bei Berdjajew, München, Schön-Verlag 1968.

4. N .Berdjajew , Existentielle Dialektik 21. Zum ostkirchlichen Begriff des Gottmenschentum s. die theologischen Beiträge von G. F1orovsky, Collected Works 10 Bde, Belmont, Mass., Nordland Publishers 1972-1982, R. Evdokimov, L' Orthodoxie, Paris Delachaux/Niestlé 1965, V. Lossky, Essai sur la théologie mystique de l' Eglise d' Orient Paris, Aubier 1944, J . Meyendorff , Sf. Grégoire Palamas et la mystique orthodoxe, Paris, Seuil 1959, N. Nissiotis, Die Theologie der Ostkirche im ökumenischen Dialog Stuttgart, Evang. Verlagswerk 1968, C.Yannaras, Person und Eros, Göttingen, Vandenhoeck/Ruprecht 1982, J. Ziziou1as, Being as Communion, London, Darton/Longmann/Todd 1985.

5. N .Berdjajew , Die Philosophie des freien Geistes Tübingen, Mohr/Siebeck 1930, 223. Vgl. M. Begzos , Der Apophatismus in der ostkirchlichen Theologie. Die kritische Funktion einer traditionellen Theorie heute, Athen 1986, bes. S. 30-33, ders, Die Eschatologie in der Orthodoxie des 20. Jahrhunderts, Athen 1989, bes. 11-13.

6. N. Berdjajew, Philosophie des freien Geistes 96. Für eine exemplarische philosophische Würdigung der byzantinischen Theologie s. besonders L. Benakis, «Aus der Geschichte des christlichen Gottesbegriffes: Die Problematik bei Photios (+ 893), dem Begründer des ersten byzantinischen Humanismus»: Transzendenz und Immanenz. Philosophie und Theologie in der veränderten Welt, (Hrsgg.) D. Papenfuss/ J. Söring, Stuttgart, Kohlhammer - Verlag 1977, 159-168

7. Athanasios, De Incarnat., 54: PG 25, 192B. Vgl. auch Irenäus, Adv. haer., 3, 10, 2: PG 7,875: «ut fieret filius hominis, ad hoc ut et homo fieret filius Dei».

8. N. Berdjajew, Philosophie des freien Geistes 214.

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