Marios P. Begzos
Nikolaj Berdjajew und die Byzantinische Philosophie
Zur metaphysischen Tragweite der patristischen Theologie
Theologie 64, Athen Jan-Feb 1993.
Intro
«DIE THEOLOGIE enthält immer irgendeine Philosophie, sie ist eine durch das religiöse Kollektiv legalisierte Philosophie, und das gilt ins-besondere für die christliche Theologie. Die gesamte Theologie der Kirchenväter enthielt eine sehr starke Dosis Philosophie» (1). Mit solchen Worten meldet sich Nikolaj Berdjajew (1874-1948), einer der berühmtesten russischen Philosophen unseres Jahrhunderts, zum immer brennenden Thema vom Verhältnis zwischen Theologie und Philosophie: Weder Unterdrückung noch Unabhängigkeit zwischen Philosophen und Theologen, sondern gegenseitige und respektvolle Anerkennung der beide Gebiete mit Dialogbereitschaft und Zusammenarbeit.
Das Wechselspiel zwischen Theologie und Philosophie lässt sich eindeutig am Beispiel der byzantinischen Philosophie zeigen, denn es handelt sich bei der byzantinischen Philosophie um eine eigenartige Vermischung von theologischen Motiven mit metaphysischen Denkweisen, so dass nur sehr schwer das Theologische vom Philosophischen unterschieden werden kann oder sogar getrennt werden dar. Bei der Untersuchung der metaphysischen Motive der griechischen Patristik entdecken wir die vitale und normale Koexistenz von Philosophie und Theologie im griechischen Mittelalter, welche in der europäischen Neuzeit verlorengegangen ist.
Die Überlegungen von Nikolaj Berdjajew sind dazu geeignet, dassman dieses Zusammenleben, diese Konvivenz von verschiedenartigen Elementen in der osteuropäischen Denkweise wahrnehmen kann. Das Begriffspaar von Theologie und Philosophie ist nur ein Beispiel. Noch einen besonderen Fall bildet die Dualität von Vergangenheit und Gegenwart bzw. Zukunft. Die byzantinische bzw. die mittelalterliche Philosophie kommt aus der Vergangenheit, aber das Denken von Berdjajew gehört zur Gegenwart und zwar zur aktuellen Situation der Nachkriegszeit. Ein fortschrittlicher Denker wie N. Berdjajew fusst auf die metaphysischen Prämissen der byzantinischen Philosophie, wie wir aufzuzeigen versuchen. Somit wird eine Denkweise der Vergangenheit mit einer Weltanschauung der Gegenwart verbunden. Mit rein metaphysischen Denkmitteln wird der Versuch unternommen, die Vergangenheit mit der Gegenwart und auch mit der Zukunft zu verknüpfen.
Letzten Endes bedeutet die Bearbeitung einer solchen Thematik, wie die byzantinische Philosophie bei Nikolaj Berdjajew, noch etwas weiteres, nämlich die Beziehung zwischen dem Osten und dem Westen. Die byzantinische Philosophie wie auch die Metaphysik von Berdjajew gehören zum osteuropäischen Geist. Obwohl beide vom Osten stammen, sind sie nicht auf den Osten zu beschränken, sondern auf den Westen, auf die europäische Kultur zu erweitern. Wenn die geschichtliche Kluft zwischen Osten und Westen als real existierend angenommen wird, fragt man nach einer Überbrückung. Gerade Berdjajew versucht, den Osten mit dem Westen philosophisch in Kontakt zu setzen, wie er das in seinem ganzen Leben leidenschaftlich besser als jeder andere seiner Landsleute getan hat. Berdjajew versuchte immer den Osten mit dem Westen zu versöhnen weder mit dem Kompromiss noch mit der Diplomatie, sondern nur mit Hilfe der Philosophie.
Will man diese drei Gesichtspunkte, d.h. das Begriffspaar «Theologie-Philosophie», die Dualität zwischen «Mittelalter» und «Neuzeit», und die Polarität vom Osten und Westen, auf einen gemeinsamen Nenner bringen, dann erweisst sich eine Studie der byzantinischen Philosophie bei Berdjajew als eine der besten Methoden im Umgang mit solchen Auseinandersetzungen. Wie er selbst zur griechischen Patristik und zur byzantinischen Philosophie gekommen ist, enthüllt Berdjajew so: «In jener Zeit [d.h. Ende des 19. Jahrhunderts in Russland] studierte ich auch die patristische Literatur, konnte mich aber nicht recht für sie erwärmen. Unter den Kirchenvätern war mir Origenes der liebste und ganz besonders der heilige Gregor von Nyssa; in der asketisch -mystischen Literatur schien mir Isaak der Syrer am tiefsten vorzudringen. In diesen Jahren fanden die vorbereitenden Arbeiten zu einer originalen russischen Religionsphilosophie statt» (2).
Nennt man drei Persönlichkeiten der griechischen Patristik, welche einen besonderen Einfluss auf Berdjajew ausgeübt haben, dann muss man Origenes, Athanasius den Grossen und Gregor von Nyssa nennen. Da es hier nicht um eine philosophiegeschichtliche Studie geht, welche auf Ausführlichkeit angewiesen ist, sondern sich um eine rein systematische Untersuchung der metaphysischen Tragweite der patristischen Theologie am Beispiel von Berdjajew handelt, beschränken wir uns auf zwei exemplarische Vertreter der griechischen Überlieferung, auf Athanasius den Grossen und Gregor von Nyssa. Unser Versuch besteht darin, den Einfluss beider obengenannten Kirchenväter auf das Denken von Berdjajew aufzuzeigen und zugleich die philosophische Auslegung solcher patristich-theologischen Ansätze. Die Fragen lauten: Wie hat Berdjajew die beide Kirchenväter verstanden? Welchen bestimmten Punkt ihrer Denkweise hat er aufgenommen? Und schliesslich welche Kritik hat der moderne russische Philosoph an Athanasius und Gregor von Nyssa auszusetzen? Wir lassen Origenes ausser Betracht, da er eine Besonderheit ist und einer Sonderstudie bedürfte. Für eine exemplarische Untersuchung unseres Themas genügt die Beschäftigung mit zwei repräsentativen Figuren der patristischen Ära wie Athanasius und Gregor von Nyssa.
NOTES
1. N . Berdjajew , Das Ich und die Welt der Objekte, Darmstadt, Holle -Verlag, o.J., 14. Zum Problem der Verhältnisse zwischen Theologie und Philosophie in Byzanz s. L. Benakis, «Byzantinische Philosophie. Die Stellung des Menschen im Kosmos»: Actes du 1e Congrès International du Philosophie Médiévale, Louvain-la-Neuve, 1985, Bd. I., E. v. Ivanka , Plato Christianus Einsiedeln, Johannes - Verlag 1964, K. Oehler, Antike Philosophie und Byzantinisches Mittelalter, München, Back - Verlag 1969, G . Podskalsky , Theologie und Philosophie in Byzanz München, Back -Verlag 1977, V . Tatakis , La Philosophie Byzantine, Paris, PUF 1949, H. A. Wolfson , The Philosophy of the Church Fathers, Cambridge, Mass., Harvard UP 1970.
2. N . Berdjajew , Selbsterkenntnis Darmstadt, Holle-Verlag 1953, 177. Über Berdjajews Leben und Denken s. besonders die neueste Arbeit von O.C1ement , Berdiaev. Un philosophe russe en France, Paris, Desclee de Brouwer 1991, wie auch die immer erwähnenswerte Biographie von D. A. Lowrie , Rebellious Prophet. A Life of Nicolai Berdyaev, New York, Harper 1960.
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